Johanna (links) und Sünje © ADFC Hamburg
Alte und neue „Chefin“
Johanna Drescher war von 2010 bis 2019 Leiterin der Geschäftsstelle des ADFC Hamburg und hat die Arbeit des Vereins in den 2010er-Jahren entscheidend mitgeprägt.
Seit September 2019 hat Sünje Callsen als kaufmännische Geschäftsführerin zwar etwas andere Aufgaben, aber dennoch: Was lag näher, als die beiden zum Jubiläum an einen Tisch zu bringen?
Warum bist Du beim ADFC aktiv geworden?
Ich kam tatsächlich über die Stellenanzeige für die Leitung der Geschäftsstelle zum ADFC. Das war eine lustige Geschichte … Ich war auf Stellensuche, wobei zu der Zeit der digitale Jobmarkt noch nicht so groß war. Und dann hat man mir auf einem Flohmarkt eine „taz Nord“ aufgedrängt, die ich eigentlich gar nicht haben wollte, aber nach mehrmaligem Ansprechen genommen habe. Da war dann die Stellenanzeige vom ADFC drin, und ich konnte alles erfüllen, was da gefordert wurde. Da habe ich mich beworben. Außerdem war ich ja überzeugte Radfahrerin und fand, dass das sehr gut passte.
Welche Themen haben dich damals besonders bewegt und welche davon sind noch heute relevant?
Als ich hier 2010 angefangen habe, war der Verein in einer Phase des großen Umbruchs, und in der Geschäftsstelle war erst mal nicht viel los. Das heißt, am Anfang war es auch ein Neuaufbau von Tätigkeiten. Es gab Lobbyarbeit und es gab einen Arbeitskreis Radtouren. Aber alles außen herum, da gab es viel, viel zu gestalten. Anfang der 2010er-Jahre, als wir dann mit Merja Spott eine hauptamtliche Referentin für Lobbyarbeit hatten, gab es auch die ersten politischen Podiumsdiskussionen, Kampagnen und Aktionen auf der Straße. Das war, glaube ich, wirklich das Prägende: dass wir mit politischen Veranstaltungen nach draußen gegangen sind.
Das ist ja eine ziemliche Entwicklung, die der ADFC dann genommen hat und die du auch mit begleitet und geformt hast.
Ja, das war eine starke Entwicklung. In meiner ersten Arbeitswoche hier saßen Thomas und ich alleine in der Geschäftsstelle. Ja, und irgendwann habe ich ein Team mit Bundesfreiwilligendienst und mehreren festen Mitarbeitenden angeleitet. Es gab damals, und ich glaube, den gibt es auch immer noch, einen ganz stabilen Kern von Aktiven, die mich durch die gesamten fast zehn Jahre begleitet haben und die den ADFC Hamburg mit wahnsinnig vielen Stunden ehrenamtlicher Arbeit und verbindlichem Engagement geprägt haben.
Aber ich glaube, was dazugekommen ist, sind die Leute, die sich auch nur mal an einer Aktion für ein paar Stunden beteiligen oder bei einer Pop-Up-Bikelane engagieren oder auch mal nur für eineinhalb Jahre bei einem Arbeitskreis mitmachen wollen. Wirklich wichtig sind Leute wie zu meiner Zeit Jörg Wellendorf in der IT, der immer, und ich meine wirklich immer, ansprechbar war, wenn man ein Computerproblem hatte. Oder auch eben Uwe und Heidrun Jancke damals, die man immer anrufen und sagen konnte: „Wir haben eine Anfrage für einen Info-Stand. Könnt ihr da hingehen?“ Menschen, die man vorbehaltlos um Unterstützung bitten kann.
Bei meinem Vorstellungsgespräch waren ja auch „alle“ dabei. Ich wusste zuerst gar nicht, was mich hier erwartet. Ich hatte mit einem Mitglied aus dem Vorstand Vorgespräche geführt, und er hat mich netterweise vorgewarnt, dass da ein paar mehr Leute mit am Tisch sitzen werden. Letztlich war dann nicht nur der Vorstand dabei, sondern auch ein Kern aus dem Aktivenkreis, die mit entschieden haben, wer diesen Laden in den nächsten Jahren mitgestalten soll.
Und zum Ende der 2010er, wie sah es da aus?
Zum Ende meiner Zeit hier waren wir gemeinsam wahnsinnig gewachsen, an der Zahl der Mitarbeitenden und auch an Erfahrung. Aber auch die Erwartungen von außen waren höher geworden. Was wir eigentlich alles leisten können sollten in der Kommunikation, in der Lobbyarbeit, bei unseren Veranstaltungen und für unsere Ehrenamtlichen. Und das war einerseits eine schöne Bestätigung, aber gleichzeitig auch eine große Herausforderung.
Wie empfandest du Radfahren in Hamburg zu Beginn deiner ADFC-Zeit? Und wie ist es heute?
Ich glaube, mich hat da mehr meine persönliche Entwicklung sozusagen vom jungen Menschen zur Familienmutter geprägt als der ADFC. Ich bin keine ängstliche Radfahrerin und war es nie. Ich erlebe aber viele Hürden stärker, seit ich nicht nur selbst fahre, sondern auch meiner Tochter beibringen muss, sich im Verkehr zu bewegen. Sobald wir unsere Alltagswege verlassen, muss ich ständig gegen diesen Autolärm anbrüllen und Anweisungen geben. Dann fühlt sie sich gegängelt, aber ich muss permanent aufpassen, weil von hinten Radfahrer*innen kommen, die knapp überholen, oder weil sie nicht genug Abstand zu den Menschen vor ihr hält. Wie nah sind die Autos wirklich links von uns? Also, es ist schon ein Perspektivwechsel, den man damit einnimmt.
Was würde diese Situationen verbessern?
Na, weniger Autos! Da kommt man nicht drum herum. Also, egal ob es um das Überqueren von irgendwelchen Straßen zu Fuß geht, um die Kommunikation im Straßenverkehr oder darum, wie breit irgendwelche Radwege sein können. Die Lösung lautet immer nur, dass weniger Autos durch die Stadt fahren und in der Stadt rumstehen.
Wenn du nur mit dem Rad unterwegs bist, ist das einfach Mobilität? Ist es tatsächlich ein Qualitätsunterschied für dich, wie du von A nach B fährst?
Natürlich macht Radfahren Spaß! Aber ich bin schon immer Rad gefahren, weil es schneller ist als zu Fuß zu gehen. Bei mir überwiegt der funktionale Anteil doch sehr stark. Das Fahrrad ist einfach, auch praktisch und oft schneller. Und für mich bequemer, als mir einen Bus oder eine U-Bahn mit anderen Menschen zu teilen und da Umwege in Kauf zu nehmen oder auf Zeiten achten zu müssen. Ich glaube, es ist schon diese große Freiheit, die das Fahrrad einem bietet, die für mich im Mittelpunkt steht. Wenn man mal länger nicht Rad gefahren ist, dann erlebt man natürlich auch, wie viel Spaß das macht!
Oh ja, das kenne ich auch gut!
Was mich früher immer wieder verwundert hat, vielleicht, weil ich nicht aus einer Großstadt komme: Wie schwer es ist, in Hamburg mit dem Rad auch seinen Weg zu finden. Dass es überhaupt gar keine Ausschilderung gibt (ehrlicherweise auch nicht für den Autoverkehr in dem Sinne wie in anderen Städten). So, und dann immer wieder irgendwie vor blöden Wegen zu landen, weil man sich nicht auskennt. Und heute empfinde ich es schon auch insgesamt als stressiger, weil es voller ist, weil es mehr Fußgänger*innen, mehr Autos, mehr Radfahrer*innen gibt.
Was wünscht du dir für den ADFC?
Ich wünsche dem ADFC, dass er weiterhin so wächst, dass er in Zukunft noch viel mehr Ressourcen zur Verfügung hat, um den vielen Aufgaben auch wirklich gerecht werden zu können. Also, es sind ja in Hamburg fast 9.000 Mitglieder, in einer Stadt mit knapp zwei Millionen Einwohner*innen, von denen wahrscheinlich eineinhalb Millionen ab und zu auch Fahrrad fahren.
Gibt es irgendein Ereignis oder eine Situation, die dir ganz besonders in Erinnerung geblieben sind und die du mit uns teilen möchtest?
Was total prägend für ganz viele von uns war, war das Jahr 2011, in dem wir die Kampagne „Ab auf die Straße“ gemacht haben. Da haben wir wirklich zum ersten Mal alle gemeinsam an einem Thema gearbeitet und an einem Strang gezogen. Und dann hingen überall in der Stadt unsere Plakate, und wir haben uns alle damit identifiziert. Jeder einzelne Arbeitskreis war informiert und wusste, warum die da hängen und was wir damit erreichen wollen. Ein großer Erfolg und ein identitätsstiftender Moment!
Aber natürlich auch irgendwie die Radreisemesse – diese Veranstaltung nicht nur als eines von vielen Rädchen zu erleben, sondern gemeinsam mit wenigen anderen dafür sorgen, dass 7.000 Besucher*innen eine Messe erleben. Und was mich auch wirklich berührt hat, war, als ich in die Elternzeit gegangen bin und von allen Aktiven einen „Tripp-Trapp-Stuhl“ geschenkt bekommen habe. Wir haben mit vielen Leuten in der Geschäftsstelle gestanden und ich wurde so herzlich in diese neue Lebensphase verabschiedet.
Was für dich die wichtigste Leistung des ADFC in Hamburg?
Die größte Leistung ist eigentlich die, im Gesamtgefüge dieser Millionenmetropole klargemacht zu haben, wie wichtig es ist, den Radverkehr zu fördern und ernst zu nehmen. Wir leben in einer Stadt, die lange eine von der SPD geprägte Regierung hatte. Da war der sprichwörtliche „kleine Mann“, der vom Stadtrand mit dem Auto jederzeit in die Stadtmitte fahren dürfen sollte, eben lange Zeit wichtiger als die Radfahrer*innen, die dann so einen kleinen, schmalen, roten Radweg als Brotkrumen abgekriegt haben. Und jetzt sind wir an einem Punkt, wo klar ist, dass das Fahrrad ein wichtiger Bestandteil im Gesamtgefüge einer Verkehrswende ist, die wir auch wirklich brauchen. Dass das andererseits eben auch massive Einschränkungen für den bislang bevorzugten Autoverkehr bedeutet.Das ist, glaube ich, die größte Leistung.
Gleichzeitig heißt das nicht, dass wir dieses Ziel erreicht haben. Aber egal, wer diese Stadt regiert, sie können nicht mehr daran vorbei, dass in Zukunft Radschnellwege in die Stadt reinführen müssen. Wir brauchen Velorouten, Fahrradparkhäuser und so weiter. Steter Tropfen höhlt den Stein.
Das ist doch total schön, dass du da so einen langen Weg mitgegangen bist und so wesentlich mitgestaltet hast hast.
Ich habe mich kurz vor dem Jahrzehnt aus dem Landesverband verabschiedet. Aber auch jetzt, wo ich für den ADFC hier auf Bundesebene arbeite, habe ich Kolleginnen, die das seit Jahrzehnten machen, und auch auf den ehrenamtlichen Ebenen gibt es so viele Menschen, die schon seit Jahrzehnten dabei sind. Das zeigt auch, dass wir einfach ein Verein sind, in dem man gerne ist.
Ja, das erlebe ich ganz ähnlich. Diese einende Ziel im ADFC, und die ganz unterschiedlichen Arten, wie sich diesem Ziel genähert wird….
Und so viel Engagement, obwohl man bei vielen Aktivitäten für den ADFC nicht unmittelbar das „schöne Gefühl“ oder die Belohnung für sich selbst hat. Das ist eher ein Fernziel. Es bedarf schon einiger Ausdauer, um anzuerkennen, dass Hamburg fahrradfreundlicher und klimagerechter wird, weil ich jetzt hier diesen Computer in die Gänge gekriegt hab.
Vervollständige bitte folgenden Satz: „Radfahren ist für mich…“?
(seufzt, lacht…) Och nö, das ist aber ‘ne abgedroschene Frage….
(lacht auch) Die ist nicht von mir, die ist von Dirk :)
Dann grüß ihn schön und schreib ihm, die Frage ist abgedroschen.
Was sollte der ADFC Deiner Meinung nach unbedingt tun oder auch lassen?
Ich glaube, dass es wichtig ist, weiter auf dem Weg zu gehen. Alle Menschen im Blick zu haben, die Rad fahren, und wirklich die Stimme für alle zu sein – egal, ob die mit ihrem klapprigen Rad nur zum Bäcker fahren, mit dem Brötchenbeutel am Lenker. Und was wir nicht tun sollten: zu sehr auf die kleinen Herausforderungen gucken und dabei das große Ziel aus dem Auge verlieren.
Jetzt spielen wir noch A oder B. Ich les Dir jetzt zügig immer zwei Begriffe vor. Du musst dich spontan für einen von ihnen entscheiden… Und ja, auch wenn es weh tut!
Johannas Wahl unterstrichen, in Klammern: Kommentare
- Alltag oder Freizeit?
- Tagestour oder BikePacking?
- Tourenrad oder Mountainbike?
- Fixie oder 27 Gang?
- Tourenrad oder Rennrad? (Nee, Rennrad. Mist. Zu spät :)
- 35 mm oder 25 mm?
- Helm oder keinen Helm?
- Critical Mass oder Sofa? (Ohhh, schwierig...)
- Rot oder grün?
- Auch-Autofahrerin oder Puristin?
- Radfahrstreifen oder Protected Bike Lane?
- Autofrei oder autoarm?
- Fahrradkarte oder Navi?
- Strava oder Komoot?
- Sport oder Genuss?
- Genuss oder Alltag?
- E-Bike oder Auto?
- Allein oder in der Gruppe?
- Banane oder Müsliriegel? (Johanna: „Beides!“ Sünje: „Banane oder Müsliriegel?“ Lachen… Johanna: „Banane!“)
- Selber schrauben oder schrauben lassen?
Die Fragen stellte Sünje Callsen