Ein Unfall unter zwei Autofahrer*innen © adfc hh/Ulf Dietze
Unfallstatistik für Hamburg
Anfang März stellt die Behörde für Inneres und Sport die Verkehrsunfallstatistik des Vorjahres vor. Im Herbst folgen dann die genaueren Zahlen. Wir stellen ausgewählte Daten vor und ordnen sie ein.
Unfallursachen
Hauptunfallursachen bei Verkehrsunfällen mit Personenschäden sind unverändert überhöhte bzw. nicht angepasste Geschwindigkeit, mangelnder Sicherheitsabstand, Verstöße gegen die Vorfahrtsregeln sowie Rotlichtmissachtung.
Hauptunfallursachen bezogen auf Unfälle unter Beteiligung von Radfahrenden
(Angaben aus dem Verkehrsbericht 2015, ist in allen Jahren aber sehr ähnlich) Betrachtet man die knapp 5 % aller Unfälle, bei denen mindestens ein Radfahrender beteiligt war, so ergeben sich als die drei wichtigsten von der Polizei erfassten Hauptursachen
... bei den von Autofahrenden verursachen Unfällen:
- 34 % Fehler beim Abbiegen
- 21 % Vorfahrt- und Vorrangmissachtung
- 16 % Fehler beim Einfahren in den fließenden Verkehr
... bei den von Radfahrenden verursachten Unfällen:
- 40 % Sonstige Fehler der Fahrzeugführer (trotz rund 20 verschiedener erfasster Hauptunfallursachen fallen 40 % in diese »Reste«-Kategorie, die den Fehler nicht näher definiert)
- 18 % Straßenbenutzung (das kann die Fahrbahn sein, wo dies nicht erlaubt ist, das kann die Benutzung des Gehwegs sein, die eines linken Radwegs usw. - die Kategorie ist sehr ungenau – die Statistik soll in diesem Punkt aber zukünftig genauer werden)
- 9,4 % Rotlichtmissachtung
Langzeitentwicklung
Langzeitentwicklung der Verkehrsunfälle in Hamburg
Tödlich Verunglückte
2019 kamen 28 Menschen im Hamburger Straßenverkehr ums Leben (2018: 29 Verkehrstote), darunter waren zehn Fußgänger, vier Radfahrer, drei Motorradfahrer, ein S-Pedelec-Fahrer, fünf Pkw- und ein Lkw-Fahrer sowie vier Pkw-Insassen.
Unfallatlas
Der Unfallatlas des Statistischen Bundesamts zeigt (fast sämtliche) polizeilich erfassten Unfälle nach Art der Verkehrsbeteiligung.
Hintergrundinformationen
Grundsätzliche Probleme der Unfallstatistik
- Unfallursachen werden für die Statistik sehr pauschal erhoben. So fallen jeweils rund 25 % in die ungenauen Kategorien »falsche Straßenbenutzung« und »andere Ursachen«.
- Erfasst wird, was die Polizei am Unfallort notiert und nicht, was nach einem Gerichtsverfahren als Hauptursache feststeht. Auch dadurch kann es Verfälschungen geben.
- Motivationale Aspekte für Verkehrsverhalten erfasst die Statistik gar nicht. Allein aus der Statistik lassen sich deshalb keine Rückschlüsse auf Verkehrserziehungs- oder Verkehrsplanungsmaßnahmen ziehen. Beispiel: Bei einem Unfall zählt der Rotlichtverstoß des Fußgängers als Ursache, worauf die Polizei mit mehr Kontrollen reagiert. Stattdessen wäre eine als gerecht empfundene Ampelschaltung die nachhaltigere Lösung.
- Bei Radverkehrsunfällen gibt es eine hohe Dunkelziffer. Besonders bei Alleinunfällen, kleinen Sachschäden bzw. leichteren Verletzungen wird davon ausgegangen, dass die Zahl der in der Statistik ausgewiesenen Radfahrunfälle mit dem Faktor acht oder neun multipliziert werden muss. Dabei gilt: je größer die Verletzungsschwere, desto eher wird der Unfall auch statistisch erfasst.
- Nennt die Statistik in einem Altersbereich weniger Unfälle als im Vorjahr, ist das allein kein Beleg für erfolgreiche Verkehrssicherheitsarbeit. So führt ein starkes subjektives Unsicherheitsgefühl bei manchen VerkehrsteilnehmerInnen zum Verzicht auf eine Radfahrt oder einen Weg zu Fuß, für den eigentlich ein Bedarf besteht. Die durch solches Verhalten »vermiedenen« Unfälle sind also kein Indiz für eine sichere Verkehrsumgebung. Das gilt besonders für Kinder, denen heute später als in früheren Jahrzehnten erlaubt wird, ihre Umwelt allein zu erkunden.
Lösungsansätze und Forderungen
- Aus der Statistik lassen sich keine direkten Konsequenzen für die Gestaltung von Straßenräumen ableiten. Das Umfeld muss analysiert werden, die Ampelschaltungen, Geschwindigkeitsniveaus, Sichtbeziehungen, Einflüsse der Randbebauung, Oberflächenbeschaffenheit usw. Die Radverkehrsstrategie sieht »Analyse von Unfallschwerpunkten« vor. Der ADFC wünscht sich von der Behörde für Inneres, dass sie dabei diesen umfassenden Ansatz verfolgt, der auch Umfeldbedingungen und Motivation der Verkehrsteilnehmer einbezieht.
- Es reicht nicht, lokale Unfallschwerpunkte zu beseitigen. Denn auch die über viele Kreuzungen verteilten Unfälle ähnlichen Typs sind ein Hinweis auf verfehlte Infrastruktur. Dies sind zum Beispiel Unfälle mit Radfahrer*innen, die sich auf einem Radweg bewegen und von Autos erfasst werden, deren Fahrer abbiegen. Zwar mag der einzelne Unfallort kein Unfallhäufungspunkt sein. Viele solcher Unfälle zeigen aber ein strukturelles Sicherheitsproblem von Radwegen, das Konsequenzen für die Straßenraumgestaltung haben muss.
- Den Hauptunfallursachen (gleichgültig, ob durch Kfz-Führer*innen oder Radfahrer*innen gesetzt) ist durch mehr Mischverkehr und Radfahrstreifen zu begegnen. Fahrräder sind Fahrzeuge und gehören i. d. R. auf die Fahrbahn. Sie sind dort im Sichtfeld der Autofahrer*in. In Hamburg wurden in den vergangenen Jahren Radwege aus der Benutzungspflicht genommen und viele Radfahrstreifen und Schutzstreifen markiert. Die Verkehrsunfallstatistik und die Beobachtungen der Polizei bestätigen vorhandene Forschungsergebnisse, wonach dies der richtige Weg ist, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
- Linke Radwege und die Benutzung des Gehwegs sind gefährlich. Die Straßenverkehrsbehörden sollten Gehwegfreigaben aufs unbedingt notwendige Maß beschränken und linke Radwege nur in wenigen, gut begründeten Ausnahmefällen freigeben.
- Das Abbiegeverhalten von Autofahrer*innen sollte in größeren Verkehrskontrollen beobachtet werden. Aufklärung oder Ahndung sollten für die Gefahren falschen Abbiegens sensibilisieren.
- Geschwindigkeitskontrollen mit fest installierten und mobilen Messgeräten sind wichtig, um eine der Hauptunfallursachen – überhöhte Geschwindigkeit – zu bekämpfen.
- Kreuzungen sollten so designt sein, dass zügiges Abbiegen ohne ausreichenden Sichtkontakt praktisch ausgeschlossen ist.
- Mehr Radverkehr und weniger Autoverkehr schafft mehr Sicherheit. Die ADFC-Forderung nach Öffentlichkeitsarbeit für das Fahrrad und Motivation zu mehr Radfahren und für ein besseres Verkehrsklima ist also nicht nur aus ökologischen und gesundheitspolitischen Gründen richtig, sondern hilft, die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
»Rüpel« oder Opfer
In manchen Medien werden Radfahrer*innen gerne als leichtsinnig und an Unfällen quasi »selber Schuld« dargestellt. Sind Radfahrende eher Opfer oder Verursacher von Verkehrsunfällen?
Eine Auswertung der offiziellen Daten - zuletzt für 2015 durchgeführt - durch uns ergab folgendes:
Von den 66.118 Unfällen fanden 2624 auf Bundesautobahnen auf Hamburger Gebiet statt. Hier können Radfahrer nicht als Verursacher auftreten, wir rechnen diese Unfälle daher heraus. An den verbleibenden 63.494 Unfällen waren Radfahrende in 3.083 Fällen (4,9 %) beteiligt. Und das bei einem Radverkehrsanteil von ca. 12 %. Man kann also zusammenfassen:
An 95,1 % aller Unfälle war gar kein Radfahrender beteiligt.
Betrachtet man nur die Unfälle mit Radfahrer*in-Beteiligung und darin nur die, bei denen Radfahrende über 18 Jahre (ab diesem Alter ist ja auch erst der Autoführerschein-Besitz möglich), so ergibt sich: Von 2816 dieser Unfälle wurden 1016 von Radfahrenden verursacht, das sind 36 %. (Der Anteil der Radfahrer*innen als Hauptunfallverursacher*innen dürfte sogar noch geringer sein, denn die 164 Radfahrer*innen, die »ohne Altersangabe« als Verursacher in der Statistik stehen, haben wir hier als mindestens 18-jährig angenommen. Wenn sie in Wahrheit jünger waren, verschiebt sich das Bild weiter zu Gunsten der Radfahrer*innen (im »besten« Fall wären dann nur 30 % der Unfälle mit Radfahrendenbeteiligung von Radfahrer*innen verursacht worden)).
Außerdem ist der Statistik nicht zu entnehmen, ob der Unfall ausschließlich Radfahrer*innen betraf – logisch, dass dann auch eine Radfahrer*in die Ursache gesetzt hat und keine Autofahrer*in. Auch ist nicht erkennbar, ob ein Unfall ausschließlich zwischen Radfahrer*in und Fußgänger*in stattfand – logisch, dass auch dann keine Autofahrer*in Hauptverursacher*in gewesen sein kann. Will man also konkret Auto- und Radfahrer*innen ab 18 Jahren danach vergleichen, wer von ihnen jeweils Hauptunfallverursachender ist, so führt der Verkehrsbericht nicht zu einem gesicherten Ergebnis. Folgende Aussage lässt sich aber sicher treffen:
Bei Unfällen erwachsener Radfahrer*innen ist bei mehr als 64 % die radfahrende Person eher Opfer als »Täter*in«.
Ende 2010 fragten wir deshalb bei der Polizei an, ob es möglich wäre, exakt die Zahl der Unfälle zu nennen, an denen genau eine Radfahrer*in und eine Autofahrer*in beteiligt waren. Das zu ermitteln ist aber im »Auswertesystem für Verkehrsunfälle nicht möglich«, antwortete die Verkehrsdirektion am 18.11.2010