Die Hälfte der Schienenkilometer in Norddeutschland wurde abgebaut und geriet mehr oder weniger in Vergessenheit. Auf etlichen dieser Strecken kann man immerhin inzwischen wunderbar Rad fahren.
Unterwegs auf alten Schienenwegen

Aber eines nach dem anderen: Zu Beginn des ersten Eisenbahnbooms in Norddeutschland, so etwa um 1850 herum, waren die Landstraßen holperig, oft unbefestigt, mit Morastlöchern oder tiefen Sandpassagen versehen. Unter diesen Umständen war Gütertransport mit dem Pferdefuhrwerk eine schwierige, teure und langwierige Angelegenheit, über weitere Strecken lohnte sich so etwas kaum. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn erkannten weitblickende Großgrundbesitzer, Stadtväter und Fabrikherren ihre Chance: Hier bot sich die Möglichkeit, landwirtschaftliche Produkte in großen Mengen günstig und schnell in die Ballungszentren zu bringen, auf dem Rückweg industriell erzeugte Düngemittel mitzunehmen, Holz in die Großstädte zu transportieren, Fabriken mit Rohstoffen zu versorgen und die Fertigprodukte in die Städte zu fahren.

Die ersten Eisenbahnen in Norddeutschland waren also Voraussetzung und Initialzündung für zunehmende Industrialisierung, für Mechanisierung der Landwirtschaft, für Ausbau des Handels. Nebenher konnten auch die benötigten Arbeitskräfte schnell und günstig transportiert werden – aber an Fernreisen oder an Urlaubsfahrten mit der Bahn dachte damals niemand. Entsprechend war dieser Typ Eisenbahn zwischen 1850 und 1914 angelegt: Lokale Konsortien aus kapitalkräftigen Anlegern, wachstumsorientierten Städten und – in heutiger Wortwahl – agrarindustriell aufgestelltem Landadel bauten sich kleine, meist eingleisige und ebenerdige Bähnlein, die den Anschluss an die nächste Stadt oder die große weite Welt in Form der wenigen überregionalen »großen« Bahnstrecken suchten.
Eisenbahnbau, erste Stufe
Diese »kleinen« Bahnstrecken waren kostengünstig gebaut und kurvten lieber um die Hügel herum statt sie zu durchschneiden, kreuzten oft Straßen und Wege auf gleichem Niveau und klapperten umständlich die Dörfer, Gutshöfe und Ländereien, die Ziegeleien und Sägewerke ab. Aus genau diesen Gründen wurden solche Bahnen aber auch als erste stillgelegt, als in den 1920er und 1930er Jahren Lastkraftwagen aufkamen und die Landstraßen verbessert wurden. Beispiele dafür finden sich zwischen Lütjenburg und Preetz, bei Ratzeburg, bei Mölln und rund um Schleswig. Einige dieser Kleinbahnen schafften es aber auch bis weit in die Nachkriegszeit hinein, bevor sie zugunsten des LKW-Verkehrs abgebaut wurden, z.B. die Strecken Henstedt-Ulzburg – Bad Oldesloe, Hamburg –Trittau, Bad Segeberg – Kiel sowie einige mecklenburgische und ostfriesische Kleinbahnstrecken. Ein verspätetes Exemplar dieser Gattung war übrigens die Hamburger Marschbahn, in den frühen dreißiger Jahren gebaut, um Gemüse und Blumen aus den Vierlanden nach Hamburg zu fahren – und als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, um während der Wirtschaftskrise einige tausend Arbeitslose in Lohn und Brot zu bringen.

Die rein touristischen Bahnen besaßen bei uns dagegen Seltenheitswert; am bekanntesten sicherlich die Sylter Eisenbahn, die von 1888 bis 1970 durch den Dünensand ratterte, bei den Badegästen beliebt, aber aufgrund zu geringer Investitionen schließlich nicht mehr konkurrenzfähig dem Busbetrieb gegenüber.
Eisenbahnbau, zweite Stufe
Ebenfalls seit den 1850er Jahren, verstärkt nach der Reichsgründung 1871 und der Gründung einer zentralistisch organisierten Reichsbahn, entstand ein ganz anderer Typus Eisenbahn: Breite, schnurgerade und für höhere Geschwindigkeiten ausgelegte zweigleisige Strecken, auf Bahndämmen kreuzungsfrei geführt, ermöglichten weit höhere Transportleistungen für Waren und Menschen – auch militärisch nutzbar, hatten Preußen wie Kaiser und Reichsregierung doch ein hohes Interesse, Truppen und Material schnell zwischen Reichshauptstadt, den Garnisonsstädten und den Marinehäfen Wilhelmshaven und Kiel hin- und herzuschieben. Diese überregionalen Haupt-Bahnstrecken werden meist bis heute genutzt, es sei denn, sie sind durch politische Entwicklungen wie die Teilung Deutschlands schlicht überflüssig geworden; hierzu zählen einige West-Ost-Verbindungen z.B. bei Oldesloe, bei Itzehoe und bei Dömitz/Elbe. Oder sie passten nicht mehr ins Konzept, weil sie parallel zu anderen Hauptstrecken liegen wie die Linie Schwarzenbek-Bad Oldesloe.
Bahnstrecken zu Radwegen
Die Stilllegungen der Strecken verliefen meist nach demselben Muster: Zunächst wurde der durchgehende Personenverkehr eingestellt, dann der durchgehende Güterverkehr; schließlich fuhr die Bahn nur noch einzelne größere Betriebe oder militärische Einrichtungen an den zu Stichstrecken amputierten Linien an, solange die finanziellen Erträge stimmten resp. die politischen Vorgaben es verlangten; dann wurden die Stichstrecken weiter verkürzt, bis schließlich der Betrieb auch auf den letzten Stummeln wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt wurde. Was dann mit den stillgelegten Bahnstrecken geschah? Da gibt’s viele Möglichkeiten: Einige wurden schlicht weggebaggert und sind vollkommen aus der Landschaft verschwunden, andere liegen zugewachsen und unbegehbar als Streifenbiotop auf den Feldern, manche sind zu Landstraßen oder Feldwegen umgebaut. Und eine erkleckliche Anzahl ist inzwischen mit dem Rad befahrbar – meist im Rahmen der touristischen Infrastruktur als Radwanderweg hergerichtet, manchmal aber auch als versteckter Trampelpfad nur mit Wanderkarte oder Tourenführer auffindbar. Interessant auf jeden Fall die zahlreichen Relikte der Eisenbahnzeit: ehemalige Bahnhofsgebäude, jetzt als Wohnhäuser genutzt, Getreidesilos, ganz typisch für die ländlichen Kleinbahnhöfe, alte Kilometersteine oder Rübenverladerampen; nur Brückenbauwerke sind leider eine Seltenheit, weil die Deutsche Bahn, kaufmännisch kühl, aber wenig traditionsbewusst, meist die billigste Art der Bauwerksunterhaltung gewählt hat – den Abriss ...
Günter Weigt in RadCity 1/2012
Diese und zahlreiche weitere stillgelegte Bahnlinien in Norddeutschland beschreibt der Autor in Rail trails Nord, Bruckmann Verlag, 19,95 €.
Einige Hamburger Bahnstrecken-Radwege finden Sie im Radführer Hamburg, Bruckmann Verlag, 14,95 €.

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