So recht war mir nicht klar, wie es eigentlich um die (Rad-) Verkehrslage in St. Petersburg steht, als ich mich entschied, an der Veranstaltung teilzunehmen. Noch am Abend meiner Ankunft gehe ich also los Richtung Stadtzentrum, um Eindrücke zu sammeln. Anfangs fällt es mir schwer, meinen Blick von der beeindruckenden Stadtarchitektur mit ihren schillernden Fassaden abzuwenden und mich auf den grauen Verkehrsfluss zu konzentrieren. Fahrradfahrer sind so gut wie gar nicht zu sehen – geschweige denn eine irgendwie geartete Infrastruktur für diese. Dafür sehe ich zahlreiche, große Autos. Der Fahrstil erscheint mir ruppig. Zwischen den Autos flitzen Marschrutkas, wendige Minibusse. Nicht immer ist mir klar, wie ich eine Straßenkreuzung sicher quere. Das Straßennetz scheint der Menge an Fahrzeugen nicht gewachsen zu sein. Zwar ist die Regelgeschwindigkeit 60 km/h, aber im Feierabendverkehr geht es für die Autos im Stau kaum voran.
Radfahren in St. Petersburg
Mindestens einmal im Jahr steht St. Petersburg ganz im Zeichen Europas. Zahlreiche Konsulate und Kulturinstitute aus den EU-Staaten führen gemeinsam Veranstaltungen vor Ort durch. In diesem Jahr drehte sich beim Europatag alles ums Radfahren. Das Deutsche Generalkonsulat in St. Petersburg lud die Hamburger ADFC Landesvorsitzende Kirsten Pfaue zu einer Fahrradparade durch die Stadt ein. Auf einer anschließenden Podiumsdiskussion warb Pfaue für das Fahrradfahren in großen Städten.

Ich werde ehrgeizig: Irgendwo müssen sie doch sein, die Fahrradfahrer. Plötzlich! Genau vor mir erspähe ich jemanden auf einem Fahrrad, der sich zwischen die Autos wagt. Und da! Ich erblicke tatsächlich noch eine andere Person. Diese wählt lieber den Bürgersteig. Dort wird sie wohl erst einmal bleiben müssen, denn die Bordsteinkanten sind sehr hoch, ich tippe auf bis zu 40 cm. Respekt, denke ich mir, wie sie sich im Zickzack an den vielen Fußgängerinnen und Fußgängern vorbei bewegt und gleichzeitig stets die Augen auf den Boden gerichtet halten muss: immer mal wieder fehlt hier und da ein Kanaldeckel oder auch eine Gehwegplatte.

Schöne Boulevards
Trotz allem komme ich zu dem Schluss: St. Petersburg hat großes Potenzial zu einer wunderbaren Fahrradstadt – für Alltagsradfahrer und für Touristen. Bietet sie doch grundsätzlich ideale Radfahrbedingungen: Gebaut ist die Stadt auf flachem Sumpfgelände an der Mündung der Newa. Die Prospekte, wie die russischen Boulevards heißen, sind breit und gerade. Entlang von Seitenstraßen, Kanal- und Flussufern sowie durch verschiedene Parkanlagen könnten Velorouten entstehen. Die Lebensqualität der 5 Millionen Einwohner würde sich beim Ausbau des Radverkehrsanteils entscheidend verbessern. Besonderes interessiert an einer solchen Entwicklung dürften die auf mehr als 120 Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen verteilten 340.000 Studentinnen und Studenten sein. Auch der Tourismus ist ein zunehmend wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Stadt, die zu den zehn attraktivsten Reisezielen weltweit gehört. Viele Sehenswürdigkeiten wären ideal zu erradeln.

200 auf dem Newski-Prospekt
Meine Neugier wächst, was mich wohl bei der offiziellen Veranstaltung erwartet und ob meine Eindrücke im Gespräch mit den Fahrradaktivisten bestätigt werden. Auf dem Schlossplatz vor der Eremitage startet am Samstagmittag die Fahrradparade mit ca. 150 – 200 Radfahrerinnen und Radfahrer. Das klingt wenig, ist aber in einer Stadt mit einem so geringen Radfahreranteil doch bemerkenswert. Kaum radeln wir los, lebt die Stimmung einer Sternfahrt oder Critical Mass auf. Rad zu fahren bringt einfach Spaß. Gerade haben wir uns so richtig eingefahren und rollen über den Newski-Prospekt, da ist die Tour leider schon zu Ende und wir erreichen den Konferenzort, den Anitschkow-Palast. Bei der Podiumsdiskussion finden sich ca. 50 überwiegend jüngere Menschen ein. Auf dem Podium sitze ich mit Sören Liborius, Leiter der Presse- und Informationsabteilung der EU-Vertretung in Russland, Katharina Rahikainen von der Finnischen Organisation der Gewährleistung der Sicherheit im Verkehr, Shura Collinson, Redakteurin der St. Petersburg Times und dem Fahrradaktivisten Alexander Minakov, der das Programm Urbanistik leitet.
Engagierte Diskussionen
Mit der Präsentation des ADFC Hamburg »Cycling in the city« mache ich den Auftakt und zeige, welche Rahmenbedingungen – von Abstellanlagen bis hin zu Leihradsystemen – das Radfahren zu einem attraktiven, sicheren und kostengünstigen Verkehrsmittel machen. Dem schließt sich eine engagiert geführte Debatte über Raumaufteilung an und über die »Unsichtbarkeit« des Radverkehrs in St. Petersburg. Ein junger Mann wünscht sich, dass es eigene Vorschriften für Radfahrerinnen und Radfahrer geben sollte. Derzeit würden Radfahrer rechtlich – wenn überhaupt als irgendetwas – als Fußgänger gelten. Radfahrer seien aber weder Fußgänger noch »ein Nichts«. Eine Frau bemerkt, dass es keinen Platz für sie gebe, obwohl das Rad für sie das beste Fortbewegungsmittel sei. Ein anderer meint, wer Rad fahre, solle Steuerermäßigungen bekommen – schließlich tue er Gutes für sich und die Stadt. Das alles kommt mir nicht unbekannt vor. Viele nutzen während der Diskussion die Gelegenheit und werfen einen Blick in den Nationalen Radverkehrsplan, der in der russischen Sprachfassung durch die Reihen geht.

Zarte Pflanze
In den zweiten Teil der Diskussion führt die finnische Referentin ein und erläutert, wie ihre Regierung versucht, den Anteil des Rad- und Fußgängerverkehrs bis 2020 um 20 % zu erhöhen. Hintergrund ist die finnische »National Strategy for Walking and Cycling 2020«. Katharina Rahikainen hebt besonders hervor, dass es einer starken Verwaltung bedürfe, die dieses Ziel uneingeschränkt unterstützt und fördert. In den Wortbeiträgen aus dem Publikum ist Frustration zu spüren: von der Stadtverwaltung könne derzeit nicht viel Unterstützung erwarten werden. Radfahren sei dort kein Top-Thema. Auch wenn dieses Ende nicht eben hoffnungsfroh klingt, steht für mich fest: St. Petersburg ist eine Stadt in Aufbruchstimmung. Der Wunsch nach neuen Mobilitätskonzepten beginnt hier bei einem kleinen, aber feinen Kreis von jungen Menschen zu wachsen. Auch wenn es ein langer Weg sein wird, St. Petersburg kann eine Radfahrstadt werden. Der ADFC Hamburg trägt seinen Teil dazu bei, wenn im Sommer 2013 die ersten Gruppen der ADFC-Radreise Hamburg-St. Petersburg dort ankommen!
Kirsten Pfaue in RadCity 6/2012

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