Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Hamburg e. V.

Collage von einigen Meldungen über Verkehrsunfälle auf Twitter

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"erfasst", "touchiert" oder "angefahren"

Polizei und Medien berichten über Verkehrsunfälle, bei denen Radfahrer*innen oder Fußgänger*innen von Autofahrer*innen schwer verletzt oder getötet wurden, oft aus der Windschutzscheibenperspektive. Autogewalt oder Victim Blaming?

Wie sehr beeinflusst eigentlich die Sprache in einem Bericht über einen Verkehrs-„Unfall“ unsere Sicht auf das tatsächliche Ereignis? Dieser Frage gehen Wissenschaft und Medien immer häufiger nach. Erst kürzlich hat die Active Travel Academy der Universität von Westminster in London die sogenannten Road Collision Reporting Guidelines herausgeben, einen Medien-Kodex zum korrekten Verfassen von „Berichten über Kollisionen im Straßenverkehr“ – so in etwa die deutsche Übersetzung.

Beispiel: eine Meldung vom 30. März

Wir alle kennen die Schlagzeilen, in denen „Ein Radfahrer von einem Auto erfasst wurde“. Nur die eine Seite ist ein Mensch, die andere ein Fahrzeug – als würde dieses nicht ebenfalls von einem Menschen gesteuert. Zusätzlich erfasst das Fahrzeug den Menschen. Dabei ist es in der Regel so, dass ein Mensch einen anderen schlicht über- oder anfährt. Gerne wurde der Mensch dann auch übersehen. Zum einen im Passiv, zum anderen ist es wohl meist eher so, dass der Mensch im Auto nicht aufgepasst hat.

Am 30. März fuhr eine 57-Jährige mit einem Smart einen 13-Jährigen an, der auf dem Weg zur Schule bei Grün die Straße überquerte. Der Junge wurde schwer verletzt. Dazu gab es eine Polizei-Pressemeldung sowie eine Nachricht in der Hamburger Morgenpost (Mopo) und dem Hamburger Abendblatt. Die Polizei schrieb über ihre Meldung „Verkehrsunfall mit schwer verletztem 13-Jährigen“, die Mopo titelte zunächst: „13-Jähriger in Hamburg von Auto erfasst“, später immerhin korrigiert zu „[…] von Auto angefahren“. Das Abendblatt befand es nicht für nötig, diesem Ereignis eine eigene Nachricht zu widmen, sondern kombinierte die Meldung mit jener zu einem Mädchen, das am Dammtor von einem Radfahrer angefahren worden war. Im Text dann das beliebte „Übersehen“-Narrativ. „Eine Autofahrerin (57) übersah offenbar das Kind und erfasste es mit ihrem Smart.“

„Das Auto ist momentan die Norm – und nur, was davon abweicht, bedarf einer Erklärung. Die Sprache, die wir im Kontext von Verkehr nutzen, verhindert eine gerechtere Verteilung von Flächen, von Zugang und gesellschaftlicher Teilhabe.“

Dirk von Schneidemesser, Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam (IASS)

Am besten, da am allgemeinsten, schneidet hier tatsächlich die Polizeimeldung ab. Allerdings wird im Text dann nur formuliert: „ …als es zum Verkehrsunfall kam.“ Dabei ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass die Fahrerin den Jungen nicht angefahren hat. Also auch hier eine Relativierung.

Wie hätte die Nachricht verfasst werden sollen, um nicht zu bagatellisieren und klar Ursache und Wirkung zu benennen? Ungefähr so: „Auf dem Schulweg: Autofahrerin fährt 13-Jährigen an und verletzt ihn schwer. Am Mittwochmorgen befuhr eine 57-Jährige Autofahrerin mit ihrem Smart die Volksparkstraße stadtauswärts. An der Kreuzung Kieler Straße überquerte ein 13-Jähriger bei Grünlicht zeigender Ampel die Fahrbahn. Die Autofahrerin fuhr den Jungen an und verletzte ihn schwer. Wie es zu der Kollision kam, ist noch unklar. Der Verkehrsunfalldienst Mitte hat die Ermittlungen aufgenommen.“

Über die Mopo-Titelzeile stolperte auch der User „Elbläufer“ auf der sozialen Medienplattform Twitter und forderte prompt, diese in „Autofahrer überfährt 13-Jährigen …“ zu ändern. Ein anderer Twitter-Account, „Lebenswerte City Hamburg“, retweetete den Beitrag und schlug dem ADFC Hamburg vor, darüber einmal mit dem rad-affinen Stellvertretenden Chefredakteur der Mopo, Mathis Neuburger, ins Gespräch zu kommen.

Dialog mit Presse und Polizei

Ein Ball, den wir gern aufnahmen. Anfang April 2022 fragte ich daher per Mail bei Mathis Neuburger, Frank Mares, dem Online-Chef des Hamburger Abendblatts, sowie der Pressestelle der Polizei nach, ob sie sich vorstellen könnten, bei Verkehrsnachrichten zukünftig darauf zu achten, dass diese den Handreichungen zur korrekten Sprache entsprächen. Schon kurze Zeit später reagierte Polizeisprecherin Cindy Schönfelder von der Polizeipressestelle PÖA 1. Wir tauschten uns telefonisch intensiv zum Werdegang der oben genannten Mitteilung aus und erörterten das Für und Wider verschiedener Formulierungen. Sie zeigte sich aufgeschlossen für Anregungen und gab im Gegenzug Einblicke in ihre Arbeit. So würde die Formulierung „als es zum Verkehrsunfall kam“ oft bei Kollisionen zwischen zwei Kraftfahrzeugen verwendet, da dort meist zunächst nicht feststünde, welches Fahrzeug die Kollision verursacht hätte.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs schlug ich vor, bei Gelegenheit gemeinsam an Handreichungen zu arbeiten, um zukünftig die Meldungen der Pressestelle noch besser und sprachlich korrekter zu verfassen. Ich werde mich dazu demnächst wieder an die Pressestelle der Polizei wenden. Da die Polizeimeldungen oft Grundlage für Nachrichten in den Print- und Online-Medien sind, wäre es ein großer Schritt, wenn sie mittelfristig entlang solcher Guidelines verfasst würden.

Unklare Informationslage

Wenig später konnte ich auch mit Mathis Neuburger sprechen. Er erläuterte mir, dass die Meldungen zu Kollisionen zwischen Menschen im Verkehr meist sehr zeitnah nach dem Ereignis veröffentlicht würden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Informationslage seitens der Polizei oft noch unklar, was dann zu allgemeinen Formulierungen wie „Auto erfasst Radfahrer“ führen würde. Häufig werde erst später klar, wer am Steuer des Fahrzeugs gesessen habe und wer die Kollision verursacht habe. „Grundsätzlich sind wir aber immer bereit, die Art und Weise unserer Berichterstattung kritisch zu hinterfragen“, betonte Neuburger.

Vom Abendblatt erhielt ich leider auch auf Nachhaken keine Rückmeldung. Trotzdem stimmen die Gespräche mit Frau Schönfelder und Herrn Neuburger mich zuversichtlich, dass wir vom ADFC Hamburg aus am Thema dranbleiben sollten und mit einer Checkliste nach dem Modell der Reporting Guidelines (siehe Link-Liste) bei der Hamburger Presse auf Interesse und Offenheit stoßen werden.

Amrey Depenau

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