ADFC-Position: Radverkehr an Bushaltestellen
Die Gestaltung von Bushaltestellen soll dazu beitragen, den Umweltverbund insgesamt zu stärken. Daher sind die Interessen von ÖPNV, Radverkehr und Fußverkehr möglichst umfassend zu berücksichtigen.
Umfeldbedingungen
Welche Bushaltestellenvariante für Radfahrer*innen am sichersten, komfortabelsten und praktikabel umsetzbar ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Zu nennen sind hier beispielhaft
- die Lage der Bushaltestelle
- die Flächenverfügbarkeit
- das Radverkehrsaufkommen
- die Busfrequenz
- die Stärke des Fußverkehrs
- das Kfz-Verkehrsaufkommen
- die Fahrgastwechselfrequenz
- das subjektive Sicherheitsempfinden von Radfahrenden auf verschiedenen Führungsformen
Anforderungen
Zielsetzungen bei der Gestaltung von Bushaltestellen sind
- die Minimierung der Konflikte zwischen Rad- und Busverkehr sowie zwischen Rad- und Fußverkehr (während Wartephasen und Fahrgastwechseln)
- eine Entwurfsgeschwindigkeit für Radverkehr von mindestens 25 km/h
- eine ebene, dauerhafte und widerstandsarme Oberfläche für den Radverkehr
- mindestens Regelmaße nach ERA, je nach Frequentierung und örtlicher Situation auch deutlich mehr
- Führungsformen, die allen Radfahrenden und allen Fahrradtypen gerecht werden
- Reinigung von Laub und Schnee
- Barrierefreiheit
Zwei sehr unterschiedliche Lösungsansätze
- Ein Radfahrstreifen führt durch den Bushalteplatz hindurch oder auf einem Radfahrstreifen daran vorbei. Vorteile sind hier besonders die guten Sichtbeziehungen, das Ausbleiben von Konflikten zwischen Fuß- und Radverkehr und die gute Oberfläche. Wer den Radverkehrsanteil nennenswert steigern will, muss auch Überholen und zügiges Fahren ermöglichen, was diese Lösung bietet.
- Eine Radwegführung hinter dem Wartebereich der Busfahrgäste bietet hingegen dem sich unsicher fühlenden Teil des Radverkehrs eine angenehmere Alternative. Die von vielen bei dieser Führung als größer empfundene Verkehrssicherheit kann Personen zum Radfahren ermutigen, die das bei einer Führung auf der Fahrbahn nicht täten. Insofern könnte auch dies die Variante sein, die den Radverkehrsanteil steigert.
Je nach Gewichtung der Argumente bevorzugen viele Radfahrende die eine oder die andere der beiden Alternativen, die wir unter Punkt 1 und 2 näher erläutern. Es lässt sich nicht pauschal sagen, welche der Lösungen die Beste ist, denn die o. g. Umfeldbedingungen sind für die Entscheidung wesentlich.
Es kann sich daher anbieten, bei entsprechenden Platzverhältnissen, eine Radwegführung zwischen Fahrgast-Wartebereich und Gehweg anzubieten und zusätzlich Radverkehr auf der Fahrbahn vorzusehen. Die Voraussetzung für beide Lösungen sind breite, ebene gut sichtbare Wege, die nicht zu Lasten eines ausreichend breiten Gehwegs gehen.
Rad- und Fußverkehr sowie der ÖPNV sollten Priorität haben vor den Ansprüchen des motorisierten Individualverkehrs. Denn dessen Flächenverbrauch verhindert ansonsten oftmals optimale Lösungen.
Idealerweise wird daher bei der Gestaltung von Haltestelle und Umfeld häufiger als heute dem MIV Fläche "weggenommen".
Die Varianten 1 - 3 stellen keine Priorisierung dar – je nach den örtlichen Rahmenbedingungen sollte die jeweils geeignete ausgewählt werden.
1. Radfahrende fahren im Mischverkehr auf der Fahrbahn, auf einem Radfahrstreifen oder auf einem Schutzstreifen
Der Vorteil dieser Lösungen ist vor allem, dass der Gehweg dem Fußverkehr und den Busfahrgästen vorbehalten bleibt. Radverkehr kann i. d. R. zügig fahren und befindet sich immer im Sichtfeld des Kfz-Verkehrs. Auch für einen steigenden Radverkehrsanteil bieten diese Lösungen Kapazitätsreserven.
1.1 Der Bus hält am Fahrbahnrand
Die Lösung (Abb. 1) ist insbesondere geeignet, wenn wenig Platz vorhanden ist. Es gibt keine Konflikte zwischen Fuß- und Radverkehr. Der Radverkehr kann störungsfrei fahren, solange kein Bus an der Haltestelle steht. Auch das Überholen unter Radfahrenden ist möglich. Die Fahrbahnoberfläche ist in der Regel gut und die Reinigung der Radverkehrsführung gewährleistet.
Weniger geübte Radfahrende können zwar hinter dem Bus warten, wenn dieser an der Haltestelle steht und sie nicht daran vorbeifahren wollen. - Das ist aber auch ein Nachteil dieser Führung: Besonders dann, wenn der von hinten nachfolgende Kfz-Verkehr in der Fahrspur selten Lücken lässt und die Busfrequenz hoch ist, kann das die Fahrt der Radfahrenden stören.
Vorteilhaft ist eine geringe Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Rad- und Busverkehr. Daher sollte im Optimalfall Tempo 30 angeordnet sein.
1.2 Radverkehr fährt auf einem Radfahrstreifen links einer Busbucht
Vor- und Nachteile dieser Lösung (Abb. 2) sind ähnlich jenen aus 1.1.
Ein zusätzlicher Nachteil ist der erhebliche Platzverbrauch in der Nebenfläche und eine eingeschränkte Barrierefreiheit.
Vorteilhaft ist, dass Radfahrende auch bei stehendem Bus ungehindert vorbeifahren können.
2. Führung des Radverkehrs im Seitenraum - Haltestelleninseln
Der Vorteil dieser Lösungen ist vor allem, dass sich Bus- und Radverkehr nicht behindern. Außerdem wird ein Radweg in der Nebenfläche von vielen Radfahrenden als sicherer empfunden.
Der Bus hält auf der Fahrbahn und die Fahrgäste erhalten eine Warteinsel - bei entsprechender Breite mit einem Wartehäuschen.
Für den Radverkehr auf dem Radweg (siehe Kasten "Bauliche Gestaltung des Radwegs") entfallen die Konflikte mit dem Busverkehr. Viele Radfahrende empfinden diese Führung daher als sicherer.
Von Nachteil ist die Zunahme an Störungen und Konflikten zwischen Rad- und Fußverkehr im Vergleich zu fahrbahnnaher Radverkehrsführung.
Vergleichbar angelegte Haltestellen in Hamburg sind dann problematisch, wenn der Fußverkehr und die wartenden Fahrgäste typischerweise auf dem Radweg oder sehr nah daran stehen und gehen. Die Aufmerksamkeit für Radfahrende ist im Umfeld der Haltestellen oft gering.
Die Haltestellenlänge muss dem Busaufkommen angepasst sein. Geländer hinter dem Wartehäuschen sind sinnvoll, um unerwartetes Überqueren des Radwegs aus dem nicht einsehbaren Bereich zu vermeiden. Die Fahrgäste sollten den Radweg nur an definierten barrierefreien Querungsstellen kreuzen, ohne dabei große Umwege gehen zu müssen. Dies kann mit Fußgängerschutzgittern erreicht werden. Durchlässe sind dabei immer vorne und hinten nötig, bei längeren Haltestellen auch an weiteren Stellen. Der Abstand der Geländer zum Radweg muss mindestens Regelmaß betragen.
Der Radweg muss so breit sein, dass er auch mit Lastenfahrrädern oder Sonderfahrrädern bequem zu befahren ist. Überholmöglichkeit sollte angestrebt werden. Sofern die Radverkehrsführung im Streckenabschnitt vor der Haltestelle nicht benutzungspflichtig ist, muss die Radfahrer*in wahlweise links der Insel fahren können.
Nur wo wenige Fahrgastwechsel stattfinden und wenige wartende Fahrgäste zu erwarten sind, kommt eine Haltestelle mit schmaler Insel (Abb. 4) in Betracht. Sämtliche Ansprüche an die Barrierefreiheit müssen auch dann beachtet werden.
3. Bussonderstreifen mit "Radverkehr frei"
Die Haltestelle liegt auf dem gemeinsamen Fahrstreifen für Bus- und Radverkehr. Nach aktuellen Regelwerken hat der Streifen eine Breite von mind. 4,75 m. Parallel verläuft ein Fahrstreifen für den MIV. Der ADFC fordert für solche Spuren größere Breiten (siehe ADFC-Position "Bus und Rad auf der Strecke")
Die Variante (Abb. 6) schließt Konflikte zwischen Fußverkehr, Fahrgästen und Radverkehr aus. Auch mit dem MIV gibt es keine Konflikte. Am haltenden Bus kann die Radfahrer*in problemlos vorbeifahren. Weniger geübte Radfahrende könnten hinter dem haltenden Bus warten.
Konflikte sind denkbar zwischen Bus- und Radverkehr. Ein Teil der Radfahrenden empfindet die gemeinsame Führung mit dem Busverkehr als unsicherer. Zum korrekten Überholen einer Radfahrer*in muss die Busfahrer*in den links des Sonderstreifens liegenden Fahrstreifen zumindest kurzzeitig teilweise mit benutzen.
Bauliche Gestaltung des Radwegs
Die bauliche Gestaltung des Radwegs zwischen Warteinsel und Gehweg (siehe 2) ist wesentlich, damit diese Infrastruktur komfortabel und sicher für alle funktioniert.
- Asphalt (die Oberfläche muss ebenso gut sein wie die der Fahrbahn)
- auf Fahrbahnhöhenniveau bleibend, wenn der Radverkehr vom Radfahrstreifen kommt
- Radwegbreite größer als das Regelmaß nach ERA bzw. ReStra - andernfalls kann die Kante an beiden Seiten zur Gefahr werden. Denn zu den Kanten auf beiden Seiten muss eine Radfahrer*in Sicherheitsabstand halten. Die nutzbare Radwegbreite reduziert sich dadurch. Daher sollten solche Radwege mind. 2,5 m im Einrichtungsverkehr breit sein
- Bordstein an beiden Seiten, Radweg also leicht tiefer und in anderer Farbe als die Fußverkehrsfläche
- angeschrägtes Bord
- Entwurfsgeschwindigkeit mindestens 25 km/h
- Fahrrad-Piktogramme, speziell auch an den Querungsstellen
- flach aufgetragenes Piktogrammmaterial
- keine Verengung des Radwegs im Bereich von Querungsstellen des Fußverkehrs
- keine Kombination von Mindestmaßen für Rad- und Fußverkehrsflächen
- Wer auf dem Radfahrstreifen fährt, soll dies in gerader Linie auch im Bereich der Bushaltestelle tun können, solange/sofern dort kein Bus steht. Entsprechend muss die Aufleitung auf den Radweg als Weiche gestaltet werden.
- zuverlässige Reinigung der Radwege auch in Herbst und Winter
Wir regen an, so gebaute Radwege in Hamburg zu evaluieren
- Halten sich auf tieferliegenden Radwegen weniger wartende Fußgänger*innen auf als bei Radwegen, die auf gleicher Höhe mit dem Gehweg liegen?
- Entsteht ein Sicherheitsrisiko durch seitliche Borde? Z. B. bei Schnee oder Laub?
- Wie praktikabel ist die Lösung bei hohen Zahlen an Busfahrgästen?
4. Ungeeignete Führungsformen
4.1 Radverkehr fährt rechts der Bushaltestelle mit Radweg auf Gehwegniveau
Die Variante mit schmalem Radweg neben schmalem Gehweg hat sich nicht bewährt. Denn bei diesen Platzverhältnissen auf der Nebenfläche kommt es zu Konflikten und unübersichtlichen Situationen zwischen Fußgänger*innen und Radfahrer*innen. Fußverkehr entlang der Straße weicht wartenden Fahrgästen zwangsläufig über den Radweg aus. Der Radverkehr wird ausgebremst.
4.2 Radverkehr fährt rechts der Bushaltestelle auf einem gemeinsamem Geh- und Radweg
Straßenbegleitende gemeinsame Geh- und Radwege lehnen wir ab. Eine Variante mit gemeinsamem Geh- und Radweg an einer Bushaltestelle ist immer ungeeignet, da es bei beengten Platzverhältnissen auf der Nebenfläche zu Konflikten und unübersichtlichen gefährlichen Situationen zwischen Fußgänger*innen und Radfahrer*innen kommt. Radverkehr kann aufgrund wartender Fahrgäste i. d. R. nur in Schrittgeschwindigkeit fahren
Eine Radverkehrsführung, die genau in den Bereich führt, in dem Menschen stehen müssen, die auf die Busse warten, ist keine Radverkehrsführung. Es ist eine Fehlplanung, die die Interessen von ÖPNV-Fahrgästen, Fußgänger*innen und Radverkehr missachtet.
Unsere Forderung für diesen Fall: Wir fordern, dass der Bus statt in einer Busbucht auf dem Fahrstreifen hält. Dies ergibt i. d. R. die Möglichkeit eine Variante mit Haltestelleninsel umzusetzen.
5. Sonstiges
An Bushaltestellen benötigt der Radverkehr Fahrradabstellmöglichkeiten
An jeder Haltestelle sollte es weitgehend vor Diebstahl schützende und vandalismusresistente Abstellmöglichkeiten geben. Bei der Bedarfsermittlung sollten auch wild abgestellte Räder gezählt werden und immer mit einer Zunahme der Nachfrage kalkuliert werden. Möglichst ist so zu planen, dass eine spätere Erweiterbarkeit ohne besonderen Aufwand möglich ist.
Mit dem Argument, es gäbe keinen Platz, wird bislang teilweise in Planungen auf Fahrradanlehnbügel verzichtet. In solchen Fällen sollte es zum Standard werden, vorhandene Parkkapazitäten des MIV für den Radverkehr umzuwidmen. So passen auf einen Parkstand z. B. rund 6 Fahrradanlehnbügel.
Position beschlossen im Bezirksrat des ADFC Hamburg: 22.03.2022
Beschlossen durch den Landesvorstand am 02.06.2022