
So wird die Mobilitätswende in Hamburg für weitere Jahre eine Baustelle bleiben – keine gute Nachricht für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen. © adfc Hamburg
Masterplan vs. Mobilitätswende?
Fahrradclub kritisiert den neuen Koalitionsvertrag von SPD und Grünen als Verkehrspolitik fürs Auto.
Seit Ende April 2025 liegt der neue Hamburger Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Grüne auf dem Tisch. Die beiden Parteien, die nach der Wahl am 2. März 2025 zusammen über eine komfortable Mehrheit von 70 Sitzen (von 121) in der Hamburgischen Bürgerschaft verfügen, regieren die Freie und Hansestadt Hamburg seit 2015. In der Verkehrspolitik konnte die SPD im Koalitionsvertrag „Hamburg vereint – mit Herz und Verstand“ (siehe blauer Kasten) ein von ihr im Wahlkampf versprochenes Programm gegen eine angeblich in Hamburg herrschende Krankheit namens „Parkdruck“ und gegen die vom Hamburger Abendblatt und der CDU immer wieder herbeifantasierte „Vernichtung“ von Kfz-Parkständen in Hamburg durchsetzen: den „Masterplan Parken“. Mit diesem wollen die Koalitionäre jetzt herausfinden, wo es in der Stadt an Kfz-Parkständen mangelt – und wo keine Kfz-Parkstände mehr wegfallen sollen, etwa zugunsten von Radwegen. Bis der Plan steht und man weiß, wie viel Platz durch privat geparkte Autos in Hamburg verschwendet wird, vereinbarten die Koalitionäre ein „grundsätzliches Moratorium für den Abbau von Parkplätzen im öffentlichen Raum“.
So einfühlsam sich SPD und Grüne der vermeintlichen Sorgen von Autofahrer*innen annehmen, so kurz und knapp handelt der Koalitionsvertrag die klimafreundlichen Verkehre ab. Ein konkretes jährliches Ausbauziel für das früher als „Velorouten“, jetzt als „Radrouten“ bekannte Radwegenetz, wie es seit 2015 zu den Versprechen rot-grüner Verkehrspolitik gehörte, kennt der neue Koalitionsvertrag nicht. Stattdessen wollen SPD und Grüne jetzt nur noch das „Bündnis für den Rad- und Fußverkehr verstetigen und weiterhin auf hohem Niveau Radwege bauen, um ein lückenloses Radwegenetz zu erstellen“. Ganz anders beim Autoverkehr: Für ihn will der neue Senat sehr konkret „mindestens 500 Kilometer Fahrstreifen in der kommenden Legislatur sanieren, um die Hauptverkehrsstraßen auf einem guten Zustand halten und die Bezirksstraßen in ihrem Zustand zu verbessern“ (S. 63).
Hyper, Hyperloop?
Während der Koalitionsvertrag keine innovativen Ambitionen zur Förderung des Radverkehrs in Hamburg erkennen lässt, haben SPD und Grüne ihr Herz für Projekte entdeckt, die auch einem Tech-Milliardär wie Elon Musk gefallen würden. Auf Seite 61 des Vertrags bekunden sie tatsächlich ihr „Interesse an der Hyperloop-Technologie“. Gemeinsam mit „Partner*innen“ wollen sie deshalb dem Bund vorschlagen, in Hamburg „eine erste technische Referenzstrecke zu bauen, die eine Systemintegration aller Komponenten ermöglichen soll“. Wer diese „Partner*innen“ sind, verschweigt der Vertrag. in Presseberichten wird ehrfürchtig von einem „privaten Konsortium“ geraunt. Diesen Gerüchten zufolge soll es aber keinerlei Verbindungen zum Bau des „Elbtowers“ aufweisen. Für alle, die gar nicht wissen, worum‘s hier überhaupt geht, sei Wikipedia zitiert: „Der Hyperloop ist ein von Elon Musk im Jahr 2013 vorgestelltes Konzept für ein Hochgeschwindigkeitsverkehrssystem, bei dem sich Kapseln in einer weitgehend luftleeren Röhre in Magnetfeldern, wie beim Transrapid gleitend, mit nahezu Schallgeschwindigkeit fortbewegen sollen.“ Im Namen des Senats haben Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) bereits eine Absichtserklärung unterschrieben und sich für eine konkrete Teststrecke ausgesprochen – entlang der A 24 zwischen Horner Kreisel und Jenfeld. Dieser Streckenabschnitt sei für die Stadt von „großem strategischem Interesse“, heißt es in dem „Letter of Intent“ des Senats. Warum also sichere Radwege auf den Straßen für die Menschen in Hamburg bauen, wenn sich Geld jetzt stattdessen auch völlig sinnbefreit im weitgehend luftleeren Raum verbrennen lässt? Mal abgesehen von der in der Musk-Welt kleinlich anmutenden Frage, wie eine menschlich befüllte Rohrpoströhre in den vorhandenen Bahn- und Busverkehr der Stadt integriert werden kann.
Masterplan Vision Zero
Immerhin wollen die Koalitionsparteien „weiter und konsequent das Ziel [verfolgen], den Anteil der Wege, die in Hamburg im Umweltverbund (ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr, On Demand und Sharing-Systeme) absolviert werden, auf 80 Prozent zu erhöhen“ (S. 59). Allerdings fehlt bei diesem Versprechen eine konkrete Zeitangabe, bis wann dieser Anteil erreicht werden soll, während bei früheren Gelegenheiten noch das Jahr 2030 genannt wurde. Auch die Aufweitung der Verkehrsträger des Umweltverbunds um „On Demand“-Bezahldienste wie die MOIA-Busse des Volkswagenkonzerns und kommerzielle Carsharing-Angebote wie Miles ist relativ neu. „Wir begrüßen das grundsätzliche Bekenntnis zur Mobilitätswende im rot-grünen Koalitionsvertrag“, sagt dazu Cajus Pruin vom Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Hamburg. „Wir verlangen aber, dass es mehr wert sein wird als das Bekenntnis des alten Senats zu mehr Verkehrssicherheit im Geiste der Vision Zero“. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2025 seien bereits fünf Radfahrer*innen auf Hamburgs Straßen getötet und weitere schwer verletzt worden. Pruin: „Bei jedem Ghostbike, das wir für eine getötete Radfahrerin, für einen getöteten Radfahrer aufstellen, hoffen wir, es wird das letzte sein – bis zum nächsten Unfall.“ Von dem Ziel, die Zahl der Toten und Schwerstverletzten im Straßenverkehr auf Null zu reduzieren, ist Hamburg noch sehr weit entfernt.
Im Unterschied zum rot-grünen Senat, für den die Förderung klimafreundlicher Verkehre „Hand in Hand“ geht mit Verbesserungen für den privaten motorisierten Individualverkehr, bedeutet Mobilitätswende für den Fahrradclub die konsequente Umverteilung des öffentlichen Raumes zu Gunsten des Umweltverbundes – explizit von ÖPNV, Fuß- und Radverkehr. Heißt: Anpassung der Geschwindigkeiten durch großflächige Einführung von Tempo 30, sichere, geschützte und durchgängige Radwege sowie die übersichtliche Gestaltung von Kreuzungsbereichen. Sowohl bei der Aufteilung des Straßenraums wie auch bei Neuplanungen und Investitionen muss der Ausbau des Umweltverbunds Priorität in der Verkehrspolitik haben. Der Koalitionsvertrag spricht aber leider eine andere Sprache. Das zeigt sich außer beim „Masterplan Parken“ beispielsweise beim Festhalten am milliardenteuren Bau der A 26 Ost („Hafenpassage“). Wer heute noch neue Autobahnen baut, bewegt sich aber nicht nur verkehrspolitisch rückwärts, sondern trägt auch aktiv dazu bei, das Klima und damit die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen zu zerstören. Und einen „Masterplan Parken“ braucht Hamburg zwar
tatsächlich dringend – aber nicht für den privaten Autoverkehr. Die Abstellsituation für Fahrräder muss schleunigst verbessert werden. In ganz Hamburg besteht ein hoher Nachholbedarf an mehr Fahrradbügeln in den Wohnvierteln und sicheren, modernen Fahrradparkhäusern, in denen auch E-Bikes und Lastenräder Platz haben. Wie der „Masterplan Parken“ des Senats ein „Schlüsselinstrument“ werden könne, „um den Verkehr in Hamburg neu zu denken“, wie Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags der Presse erklärte, bleibt sein Geheimnis. Der Fahrradclub sieht im Masterplan dagegen einen mehrjährigen Bestandsschutz für Kfz-Parkstände sowie den Stopp für bereits beschlossene und begonnene Verkehrsplanungen für bessere Radverkehrsbedingungen, die nur durch Reduzierung der Flächen für den ruhenden Kfz-Verkehr zu realisieren sind. Pruin: „Statt einem Moratorium für den Abbau von privat genutzten Kfz-Parkständen im öffentlichen Raum erwarten wir vom Senat einen ,Masterplan Vision Zero’, um Leben und Gesundheit der Menschen in Hamburg endlich wirksam zu schützen.“ Beim Thema Kfz-Parkstände geht es nicht zuletzt immer auch um den notwendigen Raum für Sicherheitsabstände und Sichtbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer*innen im Kreuzungsbereich. Besonders Kinder sind beispielsweise dadurch gefährdet, dass sie durch geparkte Autos im Bereich von Querungsstellen kaum oder oft nur zu spät zu sehen sind. Mit der Priorisierung des Autoparkens im öffentlichen Straßenraum vor der Verkehrssicherheit verabschiedet sich der Senat auch auf dem Papier von der Vision Zero.
Sichere Radwege für alle!
Beim Thema Radverkehr überraschen die Koalitionäre zunächst mit dem Eigenlob, sie hätten „praktisch alle“ sogenannten Bettelampeln in Hamburg beseitigt. Im Alltag werden allerdings immer noch viele Radfahrende und Fußgänger*innen von solchen diskriminierenden Anlagen ausgebremst. Schlimmes lässt auch die Ankündigung des Senats befürchten, bei der Radinfrastruktur die „Sanierung bestehender Radwege noch stärker in den Blick“ zu nehmen. Das geht in die falsche Richtung: Bestehende Radinfrastruktur ist in der Regel nicht hinreichend leistungsfähig. Eine Neuasphaltierung des Status Quo verhindert insbesondere in den innenstadtferneren Bereichen die Mobilitätswende. Radfahrenden das Fahren auf Gehwegen zu erlauben, „wo keine gesonderte Radverkehrsinfrastruktur geschaffen werden“ könne (S. 67), also die sogenannte Servicelösung, ist ebenfalls eine Maßnahme aus dem Instrumentenkasten der Autostadt, die der Fahrradclub aus Gründen der Verkehrssicherheit entschieden ablehnt. Und das Ziel der Koalitionäre, die Sicherheit von Schulwegen zu verbessern, bleibt ein Lippenbekenntnis, solange sie Tempo 50 auf jeden Fall als Regelgeschwindigkeit behalten und Tempo 30 auf keinen Fall bei mehrspurigen Straßen anordnen wollen – obwohl das die Straßenverkehrsordnung für hoch frequentierte Schulwege bereits hergibt.
Der Koalitionsvertrag enttäuscht die Hoffnungen aller Hamburger*innen, die sich eine lebenswerte, autoarme und zukunftsfähige Stadt wünschen. Für die Fahrradlobby kann das nur bedeuten: Noch stärker und lauter für die Ziele einer konsequenten Mobilitätswende zu werben!
Dirk Lau - ADFC Hamburg