Der ökologische Fußabdruck von Fahrradfernreisen
Wie kommt es, dass man den Erwerb eines Kühlschranks der Effizienzklasse B kaum noch öffentlich zugeben möchte, jedoch der Urlaub in 10.000 km Entfernung meist kein Stirnrunzeln im Bekanntenkreis erzeugt?
Bei Kühlschränken und Glühbirnen hat sich längst gesellschaftlich durchgesetzt, dass auch ein Mehrpreis in Kauf zu nehmen ist, wenn dadurch CO2 eingespart werden kann. Gütesiegel helfen dem Verbraucher sich umweltgerecht zu verhalten. Ökostrom erlebt einen Boom wie noch nie.
Doch wie kommt es, dass man den Erwerb eines Kühlschranks der Effizienzklasse B kaum noch öffentlich zugeben möchte, jedoch der Urlaub in 10.000 km Entfernung meist kein Stirnrunzeln im Bekanntenkreis erzeugt? Vermutlich ist schlicht unbekannt, wie groß die konkrete Umweltbelastung ist.
Das Hauptargument »Wie soll ich sonst dahin kommen?« bleibt natürlich von Zahlen unangetastet. Ob es aber als Rechtfertigung für eine Fernreise weiterhin genügt, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Die Umweltkosten sind, wie unten gezeigt, enorm!
Um ein Gefühl für den CO2-Ausstoß einer Fernreise zu bekommen, werden im Folgenden die Belastungen zu alltäglichen Anstrengungen zum Klimaschutz in Beziehung gesetzt.
Viele der Zahlen sind dem Sondergutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundestags zum Weltklima von 2009 entnommen.
Methodik
Zum Vergleich der Umweltbelastungen von verschiedenen Energieverbräuchen bietet sich das sogenannte CO2-Äquivalent an. Praktisch jeder Energieverbrauch lässt sich so in die Menge dadurch erzeugten Kohlendioxids umrechnen.
Ausgangspunkt
Als erster Bezugspunkt soll der durchschnittliche CO2-Ausstoß eines Deutschen dienen. Ein Jahr ca. 40 km pro Tag mit dem Auto fahren erzeugt 2,2 t CO2. Die Stromerzeugung für einen Einpersonenhaushalt produziert in etwa 0,75 t CO2 pro Jahr, die Bereitstellung der Lebensmittel ca. 1,65 t, Heizung und Warmwasser nochmal ca. 2,0 t CO2. Mittelt man einfach über den Gesamtenergieverbrauch und alle Einwohner, so erhält man für Deutschland einen CO2-Ausstoß von ca. 10 t pro Jahr und Kopf.
Zum Vergleich: Dieser Wert liegt bei ca. 20 t in den USA und ca. 1 t in China.
Natürlich sind diese Zahlen nur grobe Mittelwerte, die Größenordnung pro Kopf kann aber als gesichert angesehen werden.
Übrigens wird ein Wert zwischen 2 t und 3 t maximal pro Jahr und Kopf der Weltbevölkerung von Klimaforschern als nachhaltig eingeschätzt.
Nun zum Reisen
Der ökologisch optimale Radurlaub beginnt unbestritten mit dem Aufschließen des Schlosses vor der eigenen Haustür. Jedoch, man merkt es am abendlichen Hunger, benötigt auch dieser Urlaub zusätzliche Energie. Es finden sich Zahlen, die ein Energieäquivalent von ca. 0,7 l Diesel pro 100 km Radfahren schätzen. Dies entspräche ceteris paribus 2 kg CO2 Mehrverbrauch gegenüber still auf dem Sofa sitzen.
Die Tabelle gibt einen Eindruck vom CO2-Ausstoß beim Verbrauch üblicher Energieträger:
Energieverbrauch beim Reisen
Strebt man aber ein Ziel in etwas größerer Entfernung an, so muss man in der Regel ein anderes Verkehrsmittel als das Rad nutzen, um zunächst mal in die Zielregion zu gelangen.
Natürlich bietet diese Tabelle nur einen Anhaltspunkt, jedoch sind die Größenordnungen so eindeutig, dass die Informationen für Modellrechnungen reichen. Interessant ist, dass ein vollbesetzter Reisebus oder Zug sogar etwas weniger CO2 pro Kilometer und Person erzeugt als ein Radfahrer auf seinem Rad! Der Einfachheit halber wird im Folgenden 100% Auslastung angenommen, um die Annahmen über die Belegung der Verkehrsmittel aus der Diskussion herauszuhalten.
Modellrechnungen
Was bedeutet das für konkrete Reisen? Eine erste Modellrechnung soll einen Frühjahrstrip in die Toskana nachbilden.
Die Entfernung HH-Florenz und zurück beträgt 2800 km. Der zusätzliche CO2-Ausstoß pro Person für diese Strecke wäre demnach je nach Verkehrsmittel wie in der Tablle dargestellt. Es erzeugt also z.B. in etwa die zwölffache Menge CO2, mit dem Flugzeug in die Toskana zu reisen, verglichen mit der Nutzung eines Fahrradreisebusses!
Verglichen mit typischen Maßnahmen zum Energiesparen im Haushalt, könnte man die Urlaubsreise mit dem Bus durch das Auswechseln zweier 100-W-Glühbirnen durch 20-W-Energiesparleuchten pro Person leicht kompensieren (80 W * 4 h * 365 Tage * 345 g = ca. 40 kg/Jahr (ok-power Strom)). Die PKW-Tour verbraucht in etwa dieselbe Menge Energie wie ein guter Kühlschrank im Jahr, allerdings auch pro Person im vollbesetzten PKW! Der Flug hingegen entspricht ziemlich genau dem Jahresverbrauch an Strom in einem durchschnittlichen deutschen Einpersonenhaushalt!
Offensichtlich sind die Unterschiede immens, je nachdem, wie man reist!
Bezieht man sich auf einen nachhaltigen Maximalwert von 2 t CO2 pro Jahr, so hat ein Toskanaflieger für den Rest des Jahres nur noch 1272 kg übrig. Das reicht nicht einmal mehr für die Bereitstellung seiner Lebensmittel.
Dramatisch werden die Zahlen, wenn man »echte« Fernreisen betrachtet. Exemplarisch sei hier die Radtour durch Neuseeland betrachtet, die ja einige Zeit erstaunlich populär war, wenn man den Aufwand und die Kosten betrachtet.
Eine Flugreise Hamburg-Auckland und zurück erzeugt pro Person 13,54 t CO2 (Quelle: atmosfair.de). Dies entspräche ca. 340 ersetzten Glühbirnen pro Person oder dem Energiebudget, das jedem für fast 7 Jahre zustände, wollten wir die Welt erhalten. Alternativ könnte man die Lebensmittel erzeugen, die in ca. 8 Jahren von einer Person verbraucht werden.
Aber der augenöffnendste Vergleich ist dies: Man könnte über 100 Jahre lang jedes Jahr mit dem PKW in die Toskana fahren (100 * 114,8 kg = 11,48 t ), und hätte noch immer nicht so viel CO2 erzeugt wie ein einziger Flug nach down under! Autofahren wird dadurch nicht zur ökologischen Großtat, aber verglichen mit einem solchen Flug ist die kürzere Reise für die Umwelt Gold wert!
Ein Flug nach Südamerika ist bei ungefähr der Hälfte dieser maximalen Strecke, Nordamerika je nach Küste bei einem Drittel. Unter atmosfair.de kann man sich für jede Flugstrecke individuell seinen CO2-Ausstoß ausrechnen lassen.
Ablasshandel
Mittlerweile gibt es über atmosfair.de die Möglichkeit, freiwillig mit einer Spende Investitionen zu unterstützen, die von uns mehr verbrauchte Energie in armen Gegenden der Welt einspart. Sicherlich ist es besser als nichts, eine solche Spende zu leisten. Jedoch erscheint es dem Autor nur wie ein moderner Ablasshandel. Die verbrauchte Energie ist verbraucht und kommt auch nicht dadurch zurück, dass irgendwoanders, nämlich dort, wo es für den eigenen Lebensstandard keine Opfer erfordert, weniger Energie verbraucht wird. Es wird dadurch keine Energie eingespart!
Hat man nun aber eine Flugreise gebucht und möchte den CO2-Mehrausstoß durch bewusstes Handeln irgendwie kompensieren, wo kann man anfangen?
Das Hauptproblem ist, dass es für den Einzelnen nicht viele Stellschrauben gibt, seine CO2-Bilanz erheblich zu verbessern. Irgendwann sind alle Glühleuchten ersetzt, was dann?
Vielleicht den größten Sprung in der eigenen Ökobilanz schafft ein Umstieg auf Öko-Strom und die Abschaffung des Autos bzw. der Umstieg auf ein benzinsparendes Modell. Im Haushalt lohnt es, den Energieverbrauch von Geräten anzuschauen, die viele Betriebsstunden haben: PCs, Heizungspumpen, Beleuchtung. An diesen Punkten ist am ehesten mit erheblichen Einsparungen zu rechnen.
Für uns Radfahrer gibt es auch die Chance, den Arbeitsweg nicht allein im PKW, sondern auf dem Rad zurückzulegen. Die Einsparung bei 10 km Weg zur Arbeit und zurück beträgt immerhin 1,8 kg CO2 pro Tag! (PKW mit einer Person besetzt ca. 200 g/km, Rad ca. 23 g/km).
Fazit
Sieht man die enormen Unterschiede im ökologischen Fußabruck von Urlaubsreisen, so wünscht man sich eine Einteilung in Energieeffizienzklassen, wie sie viele Dinge des täglichen Bedarfs bereits haben. Jeder, der sich mit seinem Rad in die Ferne fliegen lässt, sollte sich zumindest klar sein, dass ein solcher Radurlaub nichts mit nachhaltigem Verhalten zu tun haben kann. Schnell ist der persönliche Energieverbrauch vervielfacht und alle Anstrengungen, daheim umweltbewusst zu handeln, ad absurdum geführt! Auch für die Urlaubsreise verbrauchen wir die Ressourcen derselben Welt. Und es gibt nur eine.
Dr. Detlef Steuer in RadCity 4/2011
Hintergrund: In der RadCity 1/2011 veröffentlichten wir unter dem Titel »Bangalore oder Buxtehude« einen Artikel pro Fernreisen von Lars Reisberg (gern in der Welt unterwegs) und einen kontra-Standpunkt von Michael Franck (VSF-Fahrradladen Radwerk). Dr. Detlef Steuer ist Statistiker. Er nahm diese Beiträge zum Anlass, für uns die Klimaseite der Diskussion mit einigen Zahlen zu untermauern.