Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Hamburg e. V.

Fahrradschleuse von der Steintorbrücke zur Mönckebergstraße

© Hartmut Schenk

ADFC-Position: Rechtsabbiegeunfälle verhindern

Was ist gegen diese Unfälle zu tun?

Rechtsabbiegeunfälle: Eine der häufigsten Unfallarten

Radverkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang werden von der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommen; diese werden überproportional häufig von Lkw oder Bussen beim Rechtsabbiegen verursacht. ADFC und der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) e.V.*1 forderten daher schon im Februar 2020 gemeinsam „Maßnahmen, die Abbiegeunfälle zwischen Lkw und Radfahrenden verhindern und das Ziel der Vision Zero im Straßenverkehr erreichbar machen“ sollen.

Die im Verhältnis zur Gesamtanzahl der Unfälle wenigen besonders schweren Unfälle mit Lkw dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in 86 % der Abbiegeunfälle der Unfallgegner ein Pkw ist*2, S.7 und dass diese Unfälle zu den häufigsten Unfällen von Radfahrenden in geschlossenen Ortschaften zählen; Hamburg ist da keine Ausnahme.

Dieses Papier richtet sich vorrangig an alle an der Straßenverkehrsplanung Beteiligten und empfiehlt bauliche Maßnahmen an Kreuzungen und Grundstückszufahrten, um sie sicherer zu gestalten und Abbiegeunfälle zu verhindern. Dabei werden nur Maßnahmen empfohlen, die sich in der Praxis bewährt haben, in der Fachwelt anerkannt sind und bereits in der ERA 2010 (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen), der ReStra (Hamburger Regelwerke für Planung und Entwurf von Stadtstraßen) bzw. dem Bündnis für Rad- und Fußverkehr definiert sind. Die vorgeschlagenen Maßnahmen verringern auch die Gefahr für Radfahrende, von Lkw erfasst zu werden, auch wenn die Lkw-Situation eine besondere ist (s.o.).

Ferner hat das Land Berlin 2015 die anschauliche Broschüre Sicher geradeaus! Leitfaden zur Sicherung des Radverkehrs vor abbiegenden Kfz*3 herausgebracht, die die hier vorgeschlagenen Maßnahmen und die zu beachtenden Randbedingungen im Detail darstellt. Im nachfolgenden Text verweisen die Ziffern in eckigen Klammern [-] auf die im Leitfaden enthaltenen Steckbriefe.

Übergeordnet

Tempo 30

Eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von Tempo 30 verbessert die Verkehrssicherheit deutlich und trägt zu einem besseren Miteinander im Straßenverkehr bei. So wird Radfahren auch für Menschen attraktiv, die das Rad noch nicht für ihre Alltagswege nutzen. Außerdem mindert Tempo 30 die Lärm- und Schadstoffbelastung und erhöht die Lebensqualität. Der ADFC fordert deshalb, überall dort Tempo 30 anzuordnen, wo es möglich ist.

Defensiv Fahren

Generell gilt die Empfehlung für alle Verkehrsbeteiligten, sich im Straßenverkehr defensiv zu verhalten und stets mit Fehlern anderer zu rechnen.

Letzteres wird bei Rechtsabbiegeunfällen an einem Beispiel aus der Unfallforschung sehr deutlich: Die vorgeschlagenen baulichen Maßnahmen wie vorgezogene Haltlinie oder Vorlaufgrün verbessern die Sicherheit des Radverkehrs erheblich, wenn Kfz- und Radverkehr gemeinsam an der Kreuzung warten.

Die Situation ändert sich im fließenden Verkehr: Die besonders gefährlichen Situationen, dass beide ohne vorherigen Halt in die Kreuzung einfahren oder – noch gefährlicher –, die Kfz-Fahrer*in anfährt, während der Radverkehr ohne Stopp in die Kreuzung einfährt, sind regelmäßig nicht durch Infrastrukturmaßnahmen sondern nur durch verändertes Verhalten z.B. Schulterblick aus dem Kfz heraus und defensives Verhalten des Radverkehrs zu entschärfen.*2, S. 14

Kontrolle

Appelle reichen für Verhaltensänderungen nicht aus; vor allem zum Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen ist auch die Kontrolle der Regeln wichtig. Im Zusammenhang mit den Rechtsabbiegeunfällen ist das insbesondere die Kontrolle der Geschwindigkeit von Lkw beim Abbiegen, die nach der Änderung der StVO im Jahr 2021 maximal mit Schrittgeschwindigkeit erfolgen darf.

Klares, intuitiv begreifbares Kreuzungsdesign

Die Führung der Radfahrenden im Knotenpunkt und dessen Zulauf muss eindeutig und verständlich sein. „Guten Sichtbeziehungen sowie der intuitiven Erkennbar- und Begreifbarkeit von Rad- und Fußverkehrsführungen sind besondere Aufmerksamkeit zu widmen.“*4, S.22 Dies gilt zur Unfallvermeidung vor allem aus der Sicht des Kfz-Lenkenden. Die entsprechenden Standard-Maßnahmen sind:

  • deutliche Markierung der jeweiligen Radverkehrsführung [02] in der Knotenpunktzufahrt und im Knoteninnenbereich,
  • flächige Roteinfärbung der Furten, 20 m vor der Haltlinie beginnend [04]

Darüber hinaus ist ein möglichst einheitliches Kreuzungsdesign für Hamburg anzustreben; Sonderlösungen, in denen sich Radfahrende und der Kfz-Verkehr erst zurechtfinden müssen, sind strikt zu vermeiden. ERA und ReStra bieten genügend bewährte, standardisierte Lösungen.

Fehler-verzeihende Infrastruktur

Menschen machen Fehler. Damit Fehler nicht zu Unfällen führen, müssen andere Verkehrsteilnehmer*innen die Chance haben, auf diese Fehler noch zu reagieren. Aus diesem Grund ist die Einhaltung von Regel- statt Mindestbreiten so wichtig, da den Radfahrenden sonst weder Reaktionszeit noch Raum zum Ausweichen bleibt.

Kleine Eckausrundungen

Kleine Eckausrundungen [05] sowie enge Kurvenradien sorgen für eine natürliche Geschwindigkeitsanpassung im Abbiegevorgang. Enge Kurvenradien für den Kfz-Verkehr dienen einer größeren Sicherheit des Radverkehrs. Freie Rechtsabbieger für den motorisierten Verkehr sollen grundsätzlich nicht mehr eingesetzt werden*4. Bestehende Freie Rechtsabbieger sind zurückzubauen oder zu entschärfen [18].

Konfliktpunkte reduzieren

Ein Rechtsabbiege-Verbot bietet sich dort an, wo z.B. Wohngebiete über mehrere Nebenstraßen erschlossen werden und die Zufahrt besser kanalisiert werden kann. Entsprechend sollte geprüft werden, ob an untergeordneten Straßen ein Rechtseinbiegen verboten oder für Kfz eine Sackgasse eingerichtet werden kann, um Konfliktpunkte zu reduzieren. Im Idealfall sollte Erschließung im Sinne des Konzepts der Superblocks erfolgen.

Maßnahmen

Gute Sichtbeziehungen

So banal es klingt, so essentiell ist es gleichzeitig: Nur wer gut gesehen wird, bewegt sich sicher im Straßenverkehr. Unfalluntersuchungen zeigen, dass diese grundlegende Bedingung in der Praxis zu häufig missachtet wird.„Als ein wesentliches Problem an Knotenpunktarmen mit Radwegen haben sich lokale Sichthindernisse herausgestellt, die sich vor allem an Knotenpunktarmen mit Radwegen und mittlerer sowie weiter Furtabsetzung häufen (...)“*2, S.13

Maßnahmen zugunsten von guten Sichtbeziehungen [01], auch für den Schulterblick, sind:

  • Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn oder auf Radfahrstreifen
  • Freihalten der Sichtdreiecke, auch für den Schulterblick Sichtbeziehung auch im Annäherungsbereich (mind. 40 m vor der Haltlinie) gewährleisten
  • Bei Radwegen: Im Kreuzungsbereich möglichst frühzeitige Führung unmittelbar neben die Fahrbahn oder auf einen Radfahrstreifen-Abschnitt („Berliner Lösung“) in den Sichtbereich der Kfz-Führenden. [03]
  • Nicht nur an Kreuzungen und Einmündungen sondern auch an Grundstückszufahrten (insb. an Tankstellen und Supermärkten für Ein- und Ausfahrten) keine Werbetafeln oder andere Sicht behindernde Elemente im Sichtdreieck dulden.

An Lichtzeichen-geregelten Kreuzungen können die Sichtbeziehungen auf die (wartenden) Radfahrenden durch einfache Maßnahmen deutlich verbessert werden:

  • vorgezogene Haltelinie, gemäß ReStra um 5 m (Bei deutlich weniger als 5 m befindet sich die Radfahrende im nur über Spiegel einsehbaren Bereich vorne rechts des Lkws, obwohl sie sich gut sichtbar wähnt) [07],
  • aufgeweitete Radaufstellstreifen (ARAS) [14],
  • Radverkehrssignal mit Vorlaufgrün [08].

Gehwegüberfahrt

Wo der Radverkehr nicht auf der Fahrbahn geführt wird, kann die Vorfahrt dem einmündenden oder querenden Verkehr [06] durch Aufpflasterung der Rad- und Fußverkehrsführung verdeutlicht werden. Diese Aufpflasterung führt dabei zu einer deutlichen Verringerung der Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs. Sie wird insbesondere bei der Einfahrtssituation in Tempo 30-Zonen empfohlen.

 

Konfliktfreie Phase

Getrennte Lichtsignalisierung des Abbiegeverkehrs und des geradeaus fahrenden Radverkehrs erhöht die Sicherheit eindeutig, sofern sich der Radverkehr nicht benachteiligt sieht und deshalb das Rotlicht missachtet. Ferner gehen konfliktfreie Phasen [09] i. A. zwangsläufig zu Lasten des zügigen Vorankommens sowohl der Radfahrenden als auch des motorisierten Verkehrs. Der Berliner Leitfaden Sicher geradeaus! erkennt dieses Problem und beschränkt den Einsatz auf (besonders) hohes Konfliktpotenzial durch rechtsabbiegende Kfz.

Im Bündnis für den Rad- und Fußverkehr heißt es dazu: „Gerade bei der Lichtsignalsteuerung wird großes Potenzial für Veränderungen gesehen, die die Sicherheit und den Komfort des Rad- und Fußverkehrs verbessern können. Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Kfz-Verkehrs sind (…) in diesem Zusammenhang bisweilen unvermeidlich. (…) Wo es sinnvoll und möglich ist, sollen getrennte Signalisierungen zum Einsatz kommen.“*4, S. 22

Der ADFC-Hamburg steht Versuchen, durch Lichtsignalsteuerung Sicherheit und Komfort des Radverkehrs zu verbessern, positiv gegenüber und wird entsprechende Initiativen an Hand der o.g. Kriterien prüfen. Erforderlich ist aber auch eine Evaluierung der Maßnahmen durch den Veranlasser (Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer; Hochbahn usw.), die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird.

Fahrradschleuse

Die Fahrradschleuse [10] ist eine Sonderform der konfliktfreien Phase, bei der der Radverkehr i.A. die zusätzliche Sicherheit durch zweimaligen Halt erkaufen muss. Der Berliner Leitfaden sieht den Einsatz daher auch nur bei hohem Konfliktpotenzial durch rechtsabbiegende Kfz und gleichzeitig hohem Radverkehrsaufkommen nach geradeaus.

Kreuzung Steintorbrücke zur Mönckebergstraße

Eine Fahrradschleuse ermöglicht das konfliktfreie Kreuzen eines Richtungsfahrstreifens. Wichtig ist dabei eine den Radverkehr nicht benachteiligende Ampelschaltung. Auch sind – anders als abgebildet – Streuscheiben in den Fahrradampeln erforderlich, die der Größe der auch sonst für den Fahrzeugverkehr üblichen Ampeln entsprechen.

 

Grundstückszufahrten

An Grundstückszufahrten ist für den Kfz-Verkehr der Vorrang deutlich zu machen. Typische Gefahrenzonen sind Ein- und Ausfahrten von Tankstellen oder Supermärkten. Je mehr Kfz-Verkehr die Überfahrt nutzt, umso wichtiger sind Maßnahmen zur Sicherung des Radverkehrs.

Wird der Radverkehr auf einem Radfahrstreifen geführt, ist der Konfliktbereich bei solch hoch belasteten Grundstückszufahrten wie eine Einmündung zu behandeln, es sind freie Sichtbeziehungen zu gewährleisten (s.o.) und die Furt durch Roteinfärbung kenntlich zu machen.

Der Konfliktpunkt wird bei Radwegen noch eher übersehen und ist daher besonders sorgfältig zu planen. Die ERA 2010 enthält dazu unter „3.4 Baulich angelegte Radwege, Grundstückszufahrten“ ausführliche Hinweise („Fahrbahnoberfläche des Radweges und des Gehweges bzw. deren Farbgebung über Grundstückszufahrten hinweg führen“, Roteinfärbung, Piktogramm „Fahrrad“, …). Hierzu gehört insbesondere auch die Anrampung nur im Bereich des Sicherheitstrennstreifens zwischen Bordstein und Radweg auszuführen.

Fazit

Die Unfallforschung hat mit der großen Untersuchung von 2013 zu Abbiegeunfällen*2 die Ursachen und grundsätzlichen Maßnahmen herausgearbeitet. Die Maßnahmen zur Verhinderung von Rechtsabbiegeunfällen sind in Fachkreisen seit Jahren bekannt und haben Eingang in die ERA 2010 und die Hamburger ReStra gefunden. Das Bündnis für den Rad- und Fußverkehr benennt sie ebenfalls. Es bedarf daher der konsequenten Umsetzung des Regelwerks - und natürlich des politischen Willens, das Selbstverfasste und Unterschriebene auch umzusetzen.


*1 Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e. V.; Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (adfc): Gemeinsame Position ADFC und BGL. Lkw-Abbiegeunfälle verhüten – jetzt! Berlin/Frankfurt, 11.02.2020

*2 Unfallforschung der Versicherer (Hg.): Unfallforschung kompakt. Unfälle zwischen Kfz und Radfahrern beim Abbiegen. Berlin 7/2013.

*3 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Hg.): Sicher geradeaus! Leitfaden zur Sicherung des Radverkehrs vor abbiegenden Kfz. Berlin, 5/2015

*4 Senat, Behörden und Bezirke der Freien und Hansestadt Hamburg: Bündnis für den Rad- und Fußverkehr. Hamburg, 17.05.2022

[#] Ziffern in eckigen Klammern verweisen auf die »Steckbriefe« in der Quelle *3. Sie finden sich dort ab Seite 19. 


Position beschlossen im Bezirksrat des ADFC Hamburg: 28.04.24
Beschlossen durch den Landesvorstand am 12.06.24

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