Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Hamburg e. V.

Fahrradbrücke

Fahrradbrücke © CC0 Public Domain/pxhere.com

Blick über den Tellerrand

Wie sieht es im Rest von Deutschland aus... Ist die Verkehrswende dort schon weiter fortgeschritten oder steht Hamburg im Vergleich doch gar nicht so schlecht da?

In fast jeder Ausgabe der RadCity beschäftigen wir uns auf die eine oder andere Weise mit der lang ersehnten und oftmals angekündigten Verkehrswende in Hamburg. Und wir kritisieren regelmäßig, dass viele Maßnahmen zu spät kommen, zu lange dauern oder zu wenig Wumms haben. Aber wie sieht das in anderen Teilen Deutschlands aus? Ist Hamburg diesbezüglich womöglich ganz weit vorne? Tun wir der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende mit unserer Kritik Unrecht? Um diese Frage zu klären, werfen wir an dieser Stelle einen Blick über den Tellerrand und zeigen an acht unterschiedlichen konstruktiven Beispielen aus anderen Teilen Deutschlands, wie man es (noch) besser machen kann als Hamburg.

Ampel mit einem roten Fahrradsymbol und einem angebrachten Grünpfeil
In Köln bereits Realität: Freie Fahrt für rechts abbiegende Radfahrer*innen. © ADFC Hamburg

Grüner Pfeil für den Radverkehr – Köln macht’s vor 

„Gerade für Rad­fah­ren­de, die unmittelbar Wind und Wetter ausgesetzt sind, haben kurze Wartezeiten eine besondere Bedeutung. Zudem sind die Schaltzeiten von älteren Ampelanlagen in sehr vielen Fällen auf die Bedürfnisse des Kraftfahrzeugverkehrs und weniger auf die von Radfahrenden programmiert. Daher haben wir zur Verkürzung von Wartezeiten für den Radverkehr in der Vergangenheit bereits an reinen Fahrradampeln die bisherige herkömmliche Grünpfeilregelung umgesetzt.“ So ist es auf der Webseite der Stadt Köln zu lesen. Grundlage für die Einführung des grünen Fahrradpfeils war ein Pilotversuch der Bundesanstalt für Straßenwesen in mehreren deutschen Städten. Dabei erwies sich die Einführung des „Grünpfeils“ für rechts abbiegende Radfahrer*innen an Kreuzungen mit roten Ampelsignalen als ungefährlich und sinnvoll.

Bereits im April 2020 wurde der grüne Pfeil speziell für Radfahrer*innen als neues Verkehrszeichen in die Straßenverkehrsordnung (StVO) eingeführt. Städte wie Münster und Köln haben das Thema daraufhin forciert und das neu geschaffene Schild sofort zum Einsatz gebracht. Allein in Köln ist es mittlerweile an rund vierzig Kreuzungen zu sehen.

Ganz anders dagegen in Hamburg. Die Hansestadt hat bis jetzt immer noch keinen einzigen grünen Pfeil für Radfahrende installiert und wurde dafür schon wiederholt kritisiert, auch vom Fahrradclub: „In Hamburg werden solche Neuerungen, die die Verkehrssicherheit und den Fahrkomfort für Radfahrende auf relativ unkomplizierte Weise erhöhen, leider nur sehr zaghaft bis gar nicht umgesetzt“, so der Ham­bur­­ger ADFC-Sprecher Dirk Lau gegenüber der Presse.

Übrigens: Die Stadt Köln bietet ihren Einwohner*innen sogar an, eigene Vorschläge für weitere grüne Pfeile an das Team der Fahrradbeauftragten zu melden. Auch aufgrund dieser konstruktiven Dialogbereitschaft ist der grüne Fahrradpfeil dringend zur Nachahmung empfohlen.

 

Bike-Highways im Autoländle 

Noch ist es Zukunftsmusik, aber trotzdem lohnt sich ein Blick auf diese Idee: In Stuttgart soll ein zweispuriger Fahrradschnellweg aus Holz entstehen – in fünf Metern Höhe über den Straßen. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann will jedenfalls eine einen Kilometer lange Teststrecke in der Region bauen lassen. Auf einer stählernen Stützkonstruktion werden die Fahrbahnelemente, die weitgehend aus Holz bestehen, im Baukastenstil quasi zusammengesteckt. Die Fahrspuren sollen mit einem rutschfesten und beheizbaren Belag ausgestattet sein. In die Geländer sind Photovoltaik-Module eingelassen, die für Heizung und Beleuchtung sorgen. Ein weiterer Vorteil sind die Kosten, die mit maximal zwei Millionen Euro pro Kilometer einen Bruchteil der Kosten für Asphaltstraßen betragen. Auch Reparaturen sollen durch das Baukastenprinzip sehr einfach möglich sein.

Ziel des Projektes ist es, die Voraussetzungen für einen zügigen und kreuzungsfreien Fahrradverkehr zu schaffen, um immer mehr Menschen aus dem Auto in den Fahrradsattel zu bekommen.

Fahrradmodellquartier Alte Neustadt Bremen 

Auch im Bremer Stadtteil Alte Neustadt, der sich als „Deutschlands erstes Fahrradmodellquartier“ bezeichnet, sollen Mobilität und Verkehr neu gedacht werden. Viele Menschen und Einrichtungen waren von Anfang an in die Planungen einbezogen und konnten ihre Ideen und Vorstellungen einbringen. Dabei wurden zwar zahlreiche unterschiedliche Ziele, aber auch das große gemeinsame Interesse deutlich: eine Verbesserung der Lebensqualität im Quartier sowie die Förderung einer nachhaltigen Mobilität.

Mit Querungshilfen über die Hauptverkehrsstraßen wird Missverständnissen und gefährlichen Situationen vorgebeugt. Gehwegnasen an Straßeneinmündungen verbessern die Sichtbeziehungen und halten die Einmündungen für größere Fahrzeuge der Feuerwehr, Müllabfuhr und den Lieferverkehr frei. Auf etlichen Abschnitten wurde das Kopfsteinpflaster geglättet und wurden Bürgersteige abgesenkt, sodass die Fortbewegung auch für Fußgänger*innen deutlich einfacher geworden ist. Zusätzliche Metallbügel erleichtern das sichere Abstellen von Fahrrädern. Und ein Netz von Fahrradstraßen wurde zu Deutschlands erster Fahrradzone gesponnen – alles mit dem Ziel, den Anteil des Rad- und Fußverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen deutlich zu erhöhen.

Respekt bewegt – Regensburg 

Seit 2016 sind in der Regensburger Altstadt die gesamte Fußgängerzone sowie die Einbahnstraßen auch in Gegenrichtung für Radfahrende freigegeben. So bleiben dem Radverkehr lange Umwege um die Altstadt erspart, was das Fahrrad als Verkehrsmittel wiederum attraktiver macht. Bei solchen Maßnahmen besteht aber immer die Gefahr, dass neue Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmer*innen, in diesem Fall Zufußgehenden, Radfahrenden sowie Bus- und Autoverkehr, entstehen. Um dies möglichst zu verhindern, wurde die Kampagne „Respekt bewegt“ ins Leben gerufen. Mit Hilfe verschiedener Aktionen, durch Bodenaufkleber, Infostände, Veranstaltungen, Flyer und weitere Maß­nahmen wird für gegenseitige Rücksichtnahme geworben. Gleichzeitig werden die Bürger*innen animiert, sich aktiv mit der Präsenz des Fahrradverkehrs in der Altstadt auseinanderzusetzen. Mit relativ einfachen Mitteln wird so ein sicheres und respektvolles Miteinander geschaffen.

Mehr Parkraum fürs Rad 

Das Problem ist bekannt: Ich würde ja gerne mit dem Fahrrad fahren, aber wo soll ich es am Zielort sicher abstellen? Und mit neuen Radwegen und besseren Bedingungen für Radler*innen wird dieses Problem automatisch größer werden. Daher benötigen wir nicht nur vereinzelte Großprojekte wie beispielsweise das leider fehlerhaft geplante Fahrradparkhaus Kellinghusenstraße. Auch die unkomplizierte Umwandlung einzelner PKW- zu Fahrrad-Parkflächen sind eine sehr wirksame Maßnahme, den Fahrradverkehr zu stärken, gerade in zunehmend dichter bebauten Wohnvierteln.

Als Vorbild kann hier die Stadt Bremen gelten, wo ein formloser Antrag von Anwohner*innen reicht, um schnell und unbürokratisch für die Installation von Fahrradbügeln zu sorgen – vorausgesetzt, die Behörden erkennen den Bedarf nach einer Prüfung auch an.

Eine konkrete Anleitung, wie so ein Antrag aussehen muss, um Aussicht auf Erfolg zu haben, findet sich unter anderem hier vom VCD Verkehrsclub.

Autofreies Wohnen in Köln-Nippes 

 

Die Siedlung „Stellwerk60“ in Köln-Nippes zeigt, wie autofreies Leben in einer Großstadt funktionieren kann. In der Siedlung mit einer Gesamtfläche von 32 Hektar wohnen über 1500 Menschen in 455 Wohneinheiten. Der Zugang zur Siedlung ist normalerweise nur mit dem Fahrrad oder zu Fuß möglich. Lediglich für die Müllabfuhr, Rettungsfahrzeuge oder Umzugslastwagen sind Ausnahmen gestattet. Am Siedlungsrand steht dafür ein kleines Parkhaus mit 120 statt, wie sonst bei einer solchen Größe üblich, 400 bis 500 Stellplätzen. Gleichzeitig verfügen die Mehrfamilienhäuser der Siedlung über Fahrrad-Tiefgaragen. Darüber hinaus gibt es im Stellwerk60 eine rund um die Uhr geöffnete, zentrale Mobilitätsstation mit Bollerwagen, Tandems, Gehhilfen, Werkzeug und Fahrradanhängern. Damit die Autofreiheit der Siedlung auch auf Dauer garantiert ist, ist sie in jedem Kaufvertrag notariell verankert.

Von Barcelona nach Darmstadt 

Im Jahr 2023 will das hessische Darmstadt ein bereits bestehendes Wohnviertel vom Autoverkehr entlasten. Dafür soll mehr Platz für Fußverkehr, Radverkehr und Freizeitaktivitäten geschaffen werden. Als Vorbild dienen hierbei die so genannten Superblocks, die in Barcelona seit 2016 das Herzstück eines umfassenden Konzepts für nachhaltige Mobilität bilden. Es handelt sich dabei um Wohnquartiere, aus denen Autos weitgehend verbannt werden, und die dadurch mehr Lebensqualität für die Anwohner*innen bieten.

In Darmstadt soll nun unter wissenschaftlicher Begleitung erprobt werden, wie mit Hilfe von Diagonalsperren der Durchgangsverkehr weitgehend aus dem Viertel ferngehalten werden kann. Dabei bleiben die Wohngebäude für Anwohner*innen und den Lieferverkehr weiterhin mit dem Auto erreichbar. Auch Parken ist gestattet.

Allerdings wird die zulässige Geschwindigkeit im Viertel reduziert, und vor Kitas sowie entlang der Schulwege werden verkehrsberuhigte Bereiche entstehen, darüber hinaus breitere Geh- und Radwege sowie Radabstell­anlagen. Mehr Grün und Sitzgelegenheiten sind ebenfalls vorgesehen. Und falls das der einen oder dem anderen bekannt vorkommen sollte: Schon im Jahr 2020 hat der ADFC Hamburg in Eimsbüttel die Kampagne „Quartiere für Menschen“ angestoßen, mit dem Ziel, den Bereich rund um die Osterstraße autofreier und damit lebenswerter zu machen. Am 30. August 2021 wurden die Ergebnisse des Beteiligungsprojekts an die Bezirksversammlung Eimsbüttel übergeben. Wir warten noch …

PARK(ing) Day in der Langen Reihe
So könnte es viel öfter sein: Zwischenmenschliche Begegnungen statt parkender Autos, hier beim PARK(ing) Day in der Langen Reihe. © ADFC Hamburg

Parklets 

An jedem dritten Freitag im September wird weltweit der PARK(ing) Day begangen. An diesem Aktionstag werden Parkplätze im öffentlichen Straßenraum kurzfristig zu Erlebnis-Plätzen umgewidmet!

Aber wie wäre es, wenn jeder Tag im Jahr Park(ing) Day wäre? Und da kommen die Parklets ins Spiel. Unter diesem Begriff werden „meist temporär aufgebaute, konsumfreie Aufenthaltsmöglichkeiten, die es sich auf Parkplätzen bequem machen“ verstanden. Dort, wo normalerweise 23 Stunden am Tag Autos stehen, entstehen Pflanzenoasen, werden Sitzgelegenheiten, Mal-
ateliers oder Lesesofas aufgebaut – um nur einige wenige Möglichkeiten zu nennen. Sie alle zeigen auf einfache Weise, wie Parkplätze zum Raum für alle und die Straßen bunter, individueller und lebendiger werden können.

Die Stadtverwaltung in Stuttgart hat diese Idee schon 2016 für sich entdeckt und ermöglicht seither auf Parkplätzen oder anderen öffentlichen Flächen ganz offiziell und klar geregelt den Aufbau solcher „kreativ und kunstvoll gestalteter Aufenthaltsräume für die Allgemeinheit“.

Und in Berlin wurde sogar eigens ein „Parkletförderprogramm“ aufgelegt. Für das Jahr 2023 ist vorgesehen, unterschiedliche Initiativen mit maximal 4000 Euro pro Parklet zu fördern. Bis zu sechzig neue Parklets sollen im kommenden Jahr die Berliner Straßen grüner machen und mehr Aufenthaltsqualität schaf­fen.

Entdecke die Möglichkeiten! Es scheint durchaus so, als gäbe es da auch für Hamburg noch jede Menge ungenutztes Potenzial zu entdecken. Vielleicht sind die Behörden ja sogar dankbar, wenn sie den einen oder anderen Hinweis bekommen?

Alexander Ballas, Leo Strohm

Diese Artikel stammen aus der RadCity 04/2022

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