Umbau der Kreuzung Alsterglacis/Kennedybrücke

Nach dem Umbau der Kreuzung Alsterglacis/Kennedybrücke sind die Radwege deutlich erkennbar. © ADFC Hamburg

Zwei Jahre Mobilitätswende - Farbe bekennen!

Seit Frühjahr 2020 hat Hamburg eine Behörde für Verkehr und Mobilitäts­wende (BVM). Im Sommer 2021 warfen wir einen ersten Blick auf ihre Arbeit – Zeit für einen zweiten.

Im letzten Jahr haben wir festgestellt, dass sich die Planungen an vielen einzelnen Stellen verbessert haben, dass aber der große Wurf fehlt, der zu einer flächendeckenden, zeitnahen und echten Mobilitätswende führen könnte. Wir haben angemahnt, dass es hierfür nicht nur einzelne, verbesserte Planungen, sondern ein echtes Umdenken braucht. Dieses Umdenken müsste sich auch in verbesserten Regelwerken widerspiegeln, die hamburgweit gelten und daher flächendeckenden Einfluss haben. Vielleicht hat diese Kritik tatsächlich dazu beigetragen, dass die BVM und die mitbeteiligte Innenbehörde nun einige Rahmenbedingungen ändern möchten oder schon geändert haben.

Ein neues Bündnis 

Das weitreichendste Signal besteht in dem im Juni 2022 erneuerten Behördenbündnis für den Rad- und Fußverkehr. Die beteiligten Behörden und Bezirksämter bekannten sich hierin zu neuen, verbesserten Standards für den Radverkehr. Dazu gehören unter anderem eine Regelbreite von 2,50 Meter für Radfahrstreifen, ein Verfahren zur leichteren Umwandlung von (Kfz-)Fahrstreifen in breite Protected-Bike-Lanes, das ambitionierte Vorhaben, die Bezirksroutenplanung bis Ende 2022 abzuschließen sowie das neue Velorouten-Wegweisungskonzept. So wurden am 30. Juni 2022 bereits erste Änderungen in den „Hamburger Regelwerken für Planung und Entwurf von Stadtstraßen“ veröffentlicht.

Eindeutige Verbesserungen

Diese Maßnahmen stellen deutliche Verbesserungen dar, die es ohne die neue BVM wahrscheinlich nicht gegeben hätte. So anerkennenswert diese Schritte sind, so klar ist aber auch, dass es sich hierbei noch lange nicht um ausreichende Maßnahmen für eine Mobilitätswende handelt. Als ADFC Hamburg fordern wir beispielsweise Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in der Stadt. Der Senat darf sich hier nicht den schlanken Fuß machen, auf fehlende bundesrechtliche Grundlagen zu verweisen, solange er diese nicht aktiv einfordert – etwa über Bundesratsinitiativen –, um Änderungen des rechtlichen Rahmens zu bewirken.

 

Noch viel Luft nach oben 

Zudem gäbe es viele Möglichkeiten, auch ohne Änderungen im Bundesrecht schon heute deutlich aktiver zu sein. Warum halten viele tausend Pendler*innen ihr Auto immer noch für das attraktivste Verkehrsmittel auf dem Weg in die Stadt? Wieso wird der Kfz-Verkehr nicht deutlich stärker daran gehindert, sich häufig vielspurig über die gesamte Stadt zu ergießen, selbst dort, wo die Alternativen durch den Öffentlichen Nahverkehr hervorragend und die Wege mit dem Rad kurz sind? Warum werden selbst Velorouten nur in den seltensten Fällen vorfahrtsberechtigt gegenüber dem Querverkehr eingerichtet, etwa per Fahrradstraße? Wieso werden immer noch viele Radwege in geringeren Breiten als der Regelbreite gebaut, selbst an Orten, an denen es mehrere Fahrstreifen auf der Straße gibt und offenbar genug Raum für eine echte Mobilitätswende vorhanden wäre? Und warum orientieren sich Ampelschaltungen nicht längst an der Geschwindigkeit des Radverkehrs? All diese Dinge (und viele weitere) könnte Hamburg auch ganz ohne bundesrechtliche Veränderungen schon heute umsetzen, wenn der politische Wille vorhanden wäre.

 

Wo ist der Wille? 

Dass es an diesem Willen offensichtlich noch fehlt, ist dabei natürlich nicht nur der BVM und den Bezirken anzulasten. In vielen Fällen bremsen die Innenbehörde und die ihr untergeordneten Verkehrsdirektionen bessere Lösungen aus. Dies gilt sowohl für konkrete Planungen als auch für die Erneuerung der Regelwerke. Und im Kleinen erleben wir immer noch, dass Polizist*innen der unteren Verkehrsbehörden Maßnahmen, die der Mobilitätswende dienen, wegen „Parkdruck“ oder „fehlender Gefahrenlage“ verhindern. Dieses verkehrspolitische Denken der 1960er-Jahre muss dringend überwunden werden!

Es gibt wohl kaum einen Ort, der das Dilemma der BVM-Bemühungen so gut zusammenfasst wie die kürzlich erfolgte Umgestaltung des Knotens Holstenstraße/Max-Brauer- Allee. Einerseits profitiert der Radverkehr durch die Umgestaltung der Kreuzung ganz erheblich. Zählt man aber die verbleibende Anzahl der Kfz-Fahrstreifen und misst, welche Flächen selbst an einem solch zentralen Ort mit guter ÖPNV-Vernetzung weiterhin dem Kfz-Verkehr gewidmet bleiben, dann wird klar, dass hier von „Mobilitätswende“ nicht die Rede sein kann. Solche Kompromisse – die zwar durchaus wertvolle Schritte in die richtige Richtung sind, aber eben keine echte Wende – lassen sich an vielen Stellen in Hamburg beobachten.

Hochgesteckte Ziele 

Bis zum Jahr 2030 soll der Radverkehrsanteil an allen zurückgelegten Wegen in Hamburg von zwanzig auf dreißig Prozent steigen. Das ist ein ambitioniertes und richtiges Ziel, das sich aber nicht von allein realisiert. Wir brauchen eine Infrastruktur, die den Wechsel vom Autositz auf den Fahrradsattel nicht nur ermöglicht, sondern hochattraktiv macht. Zwischenlösungen helfen dabei nicht weiter, denn Straßen, die heute nicht fahrradfreundlich gebaut werden, werden auch in zehn Jahren noch der Zeit hinterher hinken. Daher rufen wir dem Senat zu: Seien wir mutig und fortschrittlich, hören wir auf, kleine Schrittchen zu machen und lassen wir das autozentrierte Denken von gestern endlich hinter uns! Moderne Mobilität bedeutet nicht Abgas, Stau, Lärm und Lebensgefahr, sondern Sauberkeit, Schnelligkeit, Raum für die Menschen statt für Blech, Gesundheit, Freiheit und ein deutlich verbessertes Lebensgefühl. Das wäre auch in Hamburg möglich!

Tom Jakobi,
für den Vorstand des ADFC Hamburg

Diese Artikel stammen aus der RadCity 03/2022

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