Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Hamburg e. V.

Verkehrszeichen Einbahnstraße/Radverkehr in beide Richtungen

Einbahnstraßen sind freizugeben

Straßen mit Tempo-30-Regelung müssen grundsätzlich für den Radverkehr in beiden Richtungen befahrbar sein. Einbahnstraßen mit Tempo-30-Regelung muss das Polizeikommissariat daher für Radfahrer*innen in Gegenrichtung öffnen.*

Lehnt das Polizeikommissariat die Freigabe in Gegenrichtung ab, fallen oft Argumente wie

  • eine Alternativroute ist vorhanden
  • die Einbahnstraße ist zu schmal
  • die Einbahnstraße ist zu unübersichtlich
  • das Parken von Autos müsse dann eingeschränkt werden
  • - ...

Das alles sind keine hinreichenden Gründe gegen die Einbahnstraßenfreigabe. Verweigert die Straßenverkehrsbehörde (StVB) sie aus diesen Gründen, handelt sie rechtswidrig. Denn das Verkehrszeichen Z 220 (»Einbahnstraße«) untersagt auch den Radfahrenden die Einfahrt am anderen Ende der Straße. Damit liegt eine sog. Verkehrsbeschränkung vor, die nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist:

    »(9) Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Abgesehen von der Anordnung von Tempo 30-Zonen nach Absatz 1c oder Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Absatz 1d dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. (...).« (§ 45 (9) StVO)

Wie eng die Auslegungsspielräume der StVB bezüglich dieses Paragrafen sind, hat das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Entscheidung vom 18. November 2010 verdeutlicht.

Rechtssystematik verstehen

Beamte der Straßenverkehrsbehördlichen Abteilungen legen das Recht falsch aus, wenn sie die mit der Einbahnregelung verbundenen Verkehrsbeschränkungen ignorieren. Sie lehnen die Einbahnstraßenfreigabe mit der Breite der Straße, der Verkehrsmenge, der Art der Bebauung usw. ab. Sie verengen also ihren Blick auf die Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO) zu Zeichen 220 (Einbahnstraße). Dort werden aber nur die Bedingungen der Freigabe einer Einbahnstraße mittels »Radfahrer frei« beschrieben:

    »IV. 1. Beträgt in Einbahnstraßen die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht mehr als 30 km/h, kann Radverkehr in Gegenrichtung zugelassen werden, wenn
    a) eine ausreichende Begegnungsbreite vorhanden ist, ausgenommen an kurzen Engstellen; bei Linienbusverkehr oder bei stärkerem Verkehr mit Lastkraftwagen muss diese mindestens 3,5 m betragen,
    b) die Verkehrsführung im Streckenverlauf sowie an Kreuzungen und Einmündungen übersichtlich ist,
    c) für den Radverkehr dort, wo es orts- und verkehrsbezogen erforderlich ist, ein Schutzraum angelegt wird.
    2. Das Zusatzzeichen 1000-32 ist an allen Zeichen 220 anzuordnen. Wird durch Zusatzzeichen der Fahrradverkehr in der Gegenrichtung zugelassen, ist bei Zeichen 267 das Zusatzzeichen 1022-10 (Sinnbild eines Fahrrades und "frei") anzubringen. Vgl. zu Zeichen 267.«

Der Fehler dieser Beamten liegt darin, dass sie sich eben nur diese Variante (Einbahnstraße/Radfahrer frei) für gegenläufigen Radverkehr ansehen. Dabei kommen sie zu dem Schluss »geht nicht« und meinen, damit sei auch für den Radverkehr das Verbot der Fahrt in anderer Richtung rechtens. Es gibt aber mindestens sieben Möglichkeiten, Radverkehr in beiden Richtungen zu ermöglichen und damit die Verkehrsbeschränkung zu verhindern:

  • Aufhebung der Einbahnregelung
  • Freigabe der Einbahnregelung durch »Radfahrer frei«
  • Unechte Einbahnstraße mit Z 260 »Verbot für Kraftfahrzeuge«
  • Unechte Einbahnstraße mit Z 267 »Verbot der Einfahrt« und »Radfahrer frei«
  • baulicher Radweg jenseits von Z 220 »Einbahnstraße«
  • Fahrradstraße mit Kfz in nur einer Richtung frei
  • Freigabe nach der Spezialregelung von 1997 (»Einbahnstraße«/Zusatzschild »Radverkehr in beiden Richtungen«)

Nur wenn der Beamte die siebte Variante ausführen will, muss er die Kriterien aus der VwV zu Z 220 IV. berücksichtigen.

Gegenläufiger Radverkehr ist ein MUSS

Das ändert aber nichts an der Geltung von 45 IX StVO, wonach freizugeben IST, wenn die dort genannten Voraussetzungen nicht vorliegen. Die Freigabe ist danach kein Gnadenakt o.ä., sondern Ausfluss der Verkehrsfreiheit, die Art. 2 Grundgesetz garantiert und die in 45 IX StVO konkretisiert wird. Obwohl also in der VwV für diese eine, siebte Variante etwas von »kann«* steht, ist die Freigabe selbst eine »Muss«-Vorschrift, wenn man für das Verbieten des Fahrens in Gegenrichtung (durch Radfahrer; per Z 220 (Einbahnstraße)) keinen Grund im Sinne von 45 IX StVO benennen kann.

Entfernen von »Radfahrer frei« ebenfalls rechtswidrig

Mit Schreyerring (Steilshoop) und Brahmsallee, Parkallee sowie Oberstraße (Harvestehude) hoben zwei Straßenverkehrsbehörden Anfang der 10-er Jahre die Durchfahrtmöglichkeit in Gegenrichtung für Radfahrende auf, obwohl sie in beiden Fällen über Jahre funktionierte. Auch das war eine rechtswidrige Verkehrsbeschränkung, da es sich nicht um die Rücknahme einer freiwilligen Geste für Radfahrer handelte, sondern um das Wiederaufleben des Verbots, das in Z 220 (Einbahnstraße) verkörpert ist.

Radfahren in Gegenrichtung ist sicherer

Aus Studien der letzten Jahrzehnte zu den zahlreichen Einbahnstraßen-Freigaben ist bekannt, dass die Freigabe die Verkehrssicherheit erhöht, die Einbahnstraßenregelung die Verkehrssicherheit hingegen vermindert. Es wird den Straßenverkehrsbehörden daher schwer fallen, im Einzelfall eine erhöhte Gefährdung gerade durch die Freigabe in Gegenrichtung zu belegen. Sie wäre aber Voraussetzung für die Verkehrsbeschränkung.

Einheitlichkeit nicht gegeben

Es gibt viele Einbahnstraßen in Hamburg, die dem geltenden Recht entsprechend für Radverkehr in Gegenrichtung freigegeben sind. Andere Einbahnstraßen mit vergleichbarer Charakteristik sind nicht freigegeben. Es wäre Aufgabe der oberen Straßenverkehrsbehörde, hier für einheitliches Verwaltungshandeln zu sorgen und die Freigabe flächendeckend durchzusetzen.

Ulf Dietze in Zusammenarbeit mit RA Dr. Dietmar Kettler

So lassen sich Einbahnstraßen freigeben

 

*Der Text dieser Seite ist von 2011. Wir erläutern darin, weshalb schon damals die Einbahnstraßen freizugeben waren. Seit der Fassung vom 08. November 2021 ist die VwV-StVO dahingehend deutlicher, dass Radverkehr in Einbahnstraßen mit zulässiger Höchtsgeschwindigkeit von nicht mehr als 30 km/h nicht nur freigegeben werden “kann” sondern “soll” (VwV-StVO zu Zeichen 220). Es wird also Zeit, dass weitere Einbahnstraßen in Hamburg in Gegenrichtung für den Radverkehr geöffnet werden.

Gute Beispiele: Zufahrt und Ausfahrt von Einbahnstraßen sichern

Gute Beispiele: Gegenläufiger Radfahrstreifen in der Einbahnstraße

Verwandte Themen

Veloroute 4 zwischen Laukamp und Fibigerstraße

Tempo 30 verweigert – Veloroute 4 auf dem Gehweg?

In Langenhorn verläuft die Veloroute 4 auf einer Strecke von 290 Metern über Hohe Liedt und Neubergerweg. Was dort eine…

Intelligent Transport System FOR PEOPLE

Mobilität für Menschen statt Roboter auf Rädern

Im Herbst 2021 fand in Hamburg der Weltkongress für Intelligente Transportsysteme (ITS) statt, der sich selbst als…

Zu schmaler Radfahrstreifen auf der Wagnerstraße

Neues aus den Bezirken: HH-Nord

Nicht erst seit der Bürgerschaftswahl im letzten Jahr ist die Verkehrssituation auf Hamburgs Straßen und Radwegen in…

Vor dem PDF war die Zettelwirtschaft: So haben sich die Schüler*innen aus Blankenese ihre Alternativvorschläge zur Verbesserung der Verkehrssituation rund um ihre Schulen erarbeitet.

Das Fahrradprojekt

Eine Initiative von Blankeneser Schüler*innen zu Schulradwegen

T30 in Hamburg

Tempo 30 an sozialen Einrichtungen

Der ADFC Hamburg hat ein Online-Tool entwickelt, das dabei hilft, im Umfeld aller Kitas, Schulen, Senioreneinrichtungen…

RennradfahrerInnen auf einer Asphaltfahrbahn in ländlicher Umgebung

Radschnellweg im Bezirk Wandsbek

Bestandsaufnahme zum Radschnellweg Ahrensburg – Hamburg. Er ist der einzige Radschnellweg, der zum Teil auf dem Gebiet…

Der Open Bike Sensor ist auf einem fahrenden Fahrrad unter dem Sattel montiert

Mind the gap! Oder: Das Ende des Bauchgefühls

OBS – hinter diesem Kürzel verbirgt sich der "OpenBikeSensor" und damit nicht mehr und nicht weniger als ein…

Bezirksamtsleiterin Frau Schmidt-Hoffmann empfängt vor dem Bergedorfer Rathaus die Forderungen der ADFC-Gruppierungen.

Gute Radwege zwischen Nachbarn

Unter diesem Motto stand eine Demo der Ortsgruppen Reinbek und Wentorf sowie der Bezirksgruppe Bergedorf am 16.…

https://hamburg.adfc.de/artikel/einbahnstrassen-sind-freizugeben

Bleiben Sie in Kontakt