
Absolute Mehrheit fürs Rad!
Im Vorfeld der Bürgerschaftswahlen wollte der ADFC Hamburg von den verkehrspolitischen Sprecher*innen von SPD, CDU und Die Linke sowie Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) wissen: „Wie hältst du's mit dem Radverkehr"?
Die Zielmarke von sechzig Prozent Radverkehrsanteil, die laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts IVI in Hamburg möglich wäre, haben die fast zweihundert Besucher*innen der ADFC-Podiumsdiskussion am 21. Januar 2025 im Haus des Sports fast schon erreicht. Eine Umfrage im Rahmen der Veranstaltung ergab, dass 55 Prozent von ihnen mit dem Fahrrad angereist waren.
Mit einem derzeitigen Anteil von 22 Prozent am Verkehrsaufkommen, bezogen auf die Anzahl der zurückgelegten Wege, ist für den Radverkehr in Hamburg noch Luft nach oben. Woran das liegt, und was CDU, SPD, Grüne und Linke nach den Hamburger Bürgerschaftswahlen zur Förderung des Radverkehrs im Programm haben, das war das Thema der Veranstaltung mit dem Titel „Absolute Mehrheit fürs Rad – Geht das?“
Verkehrspolitik bewegt
Das Interesse an Verkehrspolitik in Hamburg ist groß. Viele Besucher*innen nutzten daher die Möglichkeit, bereits im Vorfeld der Veranstaltung Fragen und Forderungen an die Politik an eine Pinnwand zu heften. Das Feedback war vielfältig. Da gab es Beschwerden über schlechte und fehlende Radwege, Fragen zur Verkehrssicherheit, zur Baustellenausschilderung oder zum Stand der Radroutenplanung und auch konkrete Forderungen wie beispielsweise die nach mehr Tempo 30-Zonen. Es wurde deutlich, dass da ein reicher Erfahrungsschatz im Saal war, aber auch ein hoher Leidensdruck.
CDU-Politiker „radlos“
Bei der Eröffnung der Veranstaltung betonten Samina Mir als Vorsitzende des ADFC Hamburg und Dr. Caroline Lodemann als politische Bundesgeschäftsführerin des ADFC die Potenziale des Radverkehrs sowie die Vorzüge des Fahrrads für Umwelt, Gesundheit und lebenswerte Quartiere.
Zum Einstieg befragte die Moderatorin Sandra Wilsdorf alle Podiumsgäste nach ihrem Verhältnis zum Fahrrad. Dabei stellte sich heraus, dass der grüne Verkehrssenator Anjes Tjarks sein Rad häufiger sieht als seine Kinder, während der verkehrspolitischen Sprecher der CDU, Richard Seelmaecker, derzeit „radlos“ ist – sein grünes Peugeot wurde gestohlen (sachdienliche Hinweise bitte an die Redaktion). Heike Sudmann, Verkehrspolitikerin der Linken, ist dagegen mit ihrem Rad verwachsen, und auch der SPD-Verkehrspolitiker Lars Pochnicht besitzt kein Auto und ist stattdessen viel mit dem Rad unterwegs.
Push oder Pull?
Als Vertreter einer Autofahrer-Partei wollte Richard Seelmaecker nicht verstanden werden: Ihm liegt vor allem der respektvolle Umgang aller Verkehrsteilnehmenden miteinander am Herzen. Jedoch wehrt er sich gegen den Abbau von Parkplätzen und die Zurückdrängung des Autoverkehrs. Der Ausbau von Radwegen hängt nach seiner Einschätzung auch an den Finanzierungsmöglichkeiten, die nach der Wahl erst mal zu prüfen seien.
Nicht unerwartet unterscheidet sich sein Standpunkt deutlich von dem der LINKEN. Auch wenn Heike Sudmann erste positive Ansätze für den Radverkehr in Hamburg wahrnimmt, kann sie sich vorstellen, den Autoverkehr in Hamburg noch stärker einzudämmen. Sie möchte neben den „Pull“-Faktoren, die das Fahrrad und den öffentlichen Nahverkehr attraktiver machen sollen, vermehrt auch „Push“-Ansätze umsetzen, um den motorisierten Individualverkehr zurückzudrängen. Weniger Autoverkehr komme dann auch denjenigen Autofahrenden zu Gute, die nicht auf ihr Fahrzeug verzichten können.
„Geld ha’m wa“
Mit diesem spontanen Zwischenruf hatte der Verkehrssenator sich die Aufmerksamkeit des Saales sofort gesichert. Hamburg sei eine reiche Stadt und bis jetzt sei kein Radwegbau am Geld gescheitert. Die Herausforderung sei eher, die unterschiedlichen Interessen- und Planungsgruppen zu versöhnen. Insgesamt sieht er Hamburgs Radverkehr aber auf einem „guten Weg“ – Kopenhagen sei schließlich bereits in den 1970er-Jahren in die Verkehrswende eingestiegen und habe dadurch viele Jahre Vorsprung. Das sieht sein Koalitionspartner von der SPD genauso, wobei Lars Pochnicht betont, dass die SPD niemanden aufs Fahrrad zwingen möchte und der Ausbau des ÖPNV deshalb eine hohe Priorität habe. Er macht zudem darauf aufmerksam, dass die städtischen Lastwagen und Busse alle über Abbiegeassistenten verfügen, mit denen die für Radelnde oft tödlichen und schweren Abbiegeunfälle vermieden werden können.
Mal was Neues probieren: Statt Saalmikrofon und drei bis vier Fragen der Durchsetzungsstärksten wollten wir dem Publikum die Möglichkeit geben, sich per Smartphone an der Podiumsdiskussion zu beteiligen, und zwar mit Hilfe der App „Mentimeter“. Neben Auswahlfragen wie „Mit welchem Verkehrsmittel bist du heute zur Veranstaltung gekommen?“ konnten alle, die mitmachen wollten, drei Begriffe nennen, die ihnen für die Verkehrspolitik in Hamburg am wichtigsten erscheinen. So entstand aus 255 Wortmeldungen die oben abgebildete „Schlagwortwolke.“
Die Podiumsdiskussion selbst konnte natürlich längst nicht alle Fragen des interessierten Publikums beantworten, darum war der Gesprächsbedarf nach den ersten neunzig Minuten noch groß. Viele Teilnehmende nutzten das Angebot und die Gelegenheit, mit einzelnen Politiker*innen zu sprechen und ihre Anliegen zu verdeutlichen. Eine recht große Gruppe suchte das Gespräch mit Richard Seelmaecker von der CDU. Vielleicht gab es dabei ja auch den einen oder anderen Tipp, wie Fahrraddiebstähle verhindert werden können.
Fazit
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Veranstaltung keine großen Überraschungen bot. Die Verkehrskonzepte der vier auf dem Podium vertretenen Parteien unterscheiden sich zum Teil grundlegend, das wurde deutlich. Was aber auch klar wurde: Trotz dieser Unterschiede waren alle vier bereit, miteinander zu sprechen und einander respektvoll zu begegnen. Und vielleicht ist das in Zeiten wie diesen schon ein Erfolg.
Heike Schambortski
RadCity - unser Magazin
Dieser Artikel stammt aus der RadCity, dem Mitgliedermagazin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs Hamburg.