Aussenansicht des ELBCAMPUS-Gebäudes

Am Elbcampus Zweiradmechanikermeister*in werden

Meisterwerkstätten im Zweiradhandwerk sind dünn gesät. Das will der ELBCAMPUS ändern. Wir haben uns dort ein wenig umgesehen und mit Sandra Noack gesprochen, die für die Lehrgangsentwicklung am ELBCAMPUS zuständig ist.

Wie sehr doch der Blick auf den Stadtplan täuschen kann. Dort liegt der ELBCAMPUS eingeklemmt zwischen zwei Bundesstraßen, einem Baumarkt und dem Bahnhof Harburg. Verkehrsgünstige Lage also. Doch der Besuch vor Ort macht alle Vorurteile mit einem Schlag zunichte. Überraschend grün und fast beschaulich wirkt das ganze Gelände mit dem 2008 eröffneten Bildungszentrum der Hamburger Handwerkskammer im Zentrum. Das Gebäude wurde mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichnet, und das ist nachvollziehbar. Ein großzügiges Atrium mit Cafeteria, übersichtliche Orientierungstafeln, ein freundlicher Empfangsbereich. „Klare Linien, viel Licht und Luft lassen Raum zum Denken“ heißt es in der Selbstbeschreibung – ein deutlicher Hinweis darauf, dass es hier um mehr geht als reine Vermittlung von Zahlen und Fakten.

Auf 23.000 Quadratmetern bietet der ELBCAMPUS zahlreiche Lehrgänge und Schulungen an. Vom Schweißerkurs und CAD-Schulung über Meisterlehrgänge und betriebswirtschaftliche Seminare bis hin zur Weiterbildung zur Energieeffizienz-Expertin reicht die Palette der praxisorientierten Lehrgänge. Und im Herbst 2023 soll hier auch der erste Meistervorbereitungskurs zum/zur Zweiradmechanikermeister*in beginnen.

Wir wollten etwas genauer wissen, was es mit diesem Vorbereitungskurs auf sich hat und haben mit Sandra Noack gesprochen. Sie ist als Bildungswissenschaftlerin am ELBCAMPUS für die Lehrgangsentwicklung zuständig.

Frau Noack, was hat Sie bewogen, den Vorbereitungskurs zum/zur Zweiradmechanikermeister*in in Ihr Portfolio aufzunehmen?

Die entscheidenden Impulse kamen aus der Branche selbst. Zum einen gibt es in Norddeutschland keinen solchen Lehrgang, sodass angehende Meister*innen keine andere Wahl hatten, als die Schulung in Mittel- und Süddeutschland durchzuführen. Das bedeutet natürlich einen erheblichen zusätzlichen Aufwand. In der Regel haben die Teilnehmer*innen ja Familie, einen Job, soziale Bindungen vor Ort. Zum anderen kommen durch den rasanten Wandel in der Zweirad-Branche enorme Anforderungen auf uns zu. Diese Anforderungen lassen sich nur in enger Zusammenarbeit mit dem Handwerk bewältigen, und dafür braucht es eben auch Betriebe, die ausbilden können.

Wie haben Sie diese Impulse aufgenommen?

Wir haben intensive Vorgespräche mit Unternehmen und Herstellern geführt und außerdem einen Entwicklungsworkshop veranstaltet. Der war auf sechzehn Teilnehmende begrenzt, wobei wir gar nicht mit so vielen gerechnet hatten, aber dann war das Interesse so groß, dass wir sogar eine Warteliste anlegen mussten. Es ist schon beeindruckend, mit wie viel Herzblut in dieser Branche gearbeitet wird. Wir haben also freitagabends in Gruppenarbeit die verschiedensten Themen bearbeitet und ausführlich darüber diskutiert, welche Schwerpunkte in der Meisterausbildung gesetzt werden sollen, um den aktuellen Anforderungen gerecht zu werden. Danach hatten wir dann sehr viel Material und wussten genau, in welche Richtung wir gehen müssen. Die Basis der Ausbildung ist natürlich die Prüfungsordnung, die ist klar vorgegeben. Aber die konkrete Ausgestaltung haben wir sehr eindeutig an den Bedarfen im Gewerk orientiert.

Das heißt, dass Sie auch auf aktuelle Entwicklungen in der Branche gezielt eingehen können.

Ja, genau. Nehmen wir zum Beispiel das Leasinggeschäft. Da geht es inzwischen längst nicht mehr nur um Dienstfahrräder. Selbst für Kinderfahrräder gibt es mittlerweile Leasing-Abomodelle, und das bedeutet für die Werkstätten wieder ganz neue Herausforderungen.

"Wenn wir die Mobilitätswende voranbringen wollen, wenn wir wirklich Fahrradstadt werden wollen, dann braucht das Handwerk als instandhaltende Instanz eine solide Basis."

Kommen wir nun zu Ihrem Ausbildungs-Angebot. Welche Voraussetzungen müssen die zukünftigen Zweiradmechaniker-Meister*innen eigentlich erfüllen?

Gerade in der Fahrradbranche arbeiten viele Quereinsteiger*innen, die für ihren Beruf brennen. In diesem Gewerk steckt sehr viel Idealismus. Der Zugang zur Meisterprüfung ist vielen möglich, wenn gewisse Vorkenntnisse nachgewiesen werden. Zur Prüfung zugelassen sind neben den ausgebildeten Zweiradmechatroniker/innen oder Zweiradmechaniker/innen daher alle, die eine abgeschlossene Ausbildung zum Beispiel im Metallbau oder in der Feinwerkmechanik haben und drei Jahre einschlägige Berufserfahrung nachweisen können.

Können Sie kurz die Rahmenbedingungen des Lehrgangs skizzieren?

Der Lehrgang findet als Teilzeit-Kurs über einen Zeitraum von rund zwei Jahren statt. Die einzelnen Kurse werden teils in Präsenz, teils auch als Onlineveranstaltungen durchgeführt. Die Gesellinnen und Gesellen aus der Zweiradbranche lernen dabei alles, was sie über Herstellung, Optimierung und Wartung von Zweirädern wissen müssen. Aber neben den technischen Fertigkeiten für die Werkstatt legen wir auch großen Wert auf die Vermittlung von all den Dingen, die wichtig sind, um einen Betrieb führen oder optimal auf Kundenwünsche eingehen zu können.

Darüber hinaus bieten wir einen sehr hohen Praxisanteil, den die Teilnehmenden in gut ausgestatteten Werkstätten absolvieren – sowohl am ELBCAMPUS als auch bei unseren Kooperationspartnern. Wir glauben also, dass wir eine sehr hohe Ausbildungsqualität anbieten können. Das erklärt auch die relativ hohen Gebühren von € 9.400 – wobei die einzelnen Teilnehmer*innen nur einen Bruchteil davon selbst bezahlen müssen. Der Zuschussanteil durch das Aufstiegs-BAföG liegt nämlich bei 50 Prozent, bei erfolgreich bestandener Meisterprüfung sogar bei 75 Prozent der Lehrgangskosten. Außerdem kann man in einigen Bundesländern eine zusätzliche Meisterprämie erhalten, in Hamburg sind das z.B. 1.000 €.

Wie groß ist der Zeitaufwand für die angehenden Meister*innen?

Insgesamt haben wir 872 Unterrichtseinheiten veranschlagt, also deutlich mehr als im Rahmenplan vorgeschrieben. Das liegt daran, dass wir uns hier zwar schwerpunktmäßig dem Fahrrad widmen, zusätzlich aber auch einen Intensivkurs Motorrad (mit 80 Unterrichtseinheiten) integrieren, weil die Fahrzeugkategorien sich immer mehr vermischen.

Besonders deutlich wird das an der Entwicklung des Lastenrades. Immer mehr Handwerker vor allem in der Großstadt steigen aufs Lastenrad um, oft mit Elektrounterstützung. Für bestimmte Gewerke wie zum Beispiel die Maler ist das absolut sinnvoll. Sie sind schneller beim Kunden, brauchen keinen Parkplatz zu suchen und haben alles dabei, was sie brauchen. Und mit mehr und besseren Radwegen wird dieses Modell sicherlich noch attraktiver werden.

Was ist überhaupt die Motivation, so einen Meisterbrief zu erwerben?

Es gibt für Fahrradgeschäfte keine Meisterpflicht, aber der Meisterbrief ist ja zwingende Voraussetzung für jeden Betrieb, der Fachkräfte ausbilden will. Gerade diese Fachkräfte aber werden händeringend gesucht. Schließlich steigt die Nachfrage nach Fahrrädern gerade extrem an. 2022 wurden in Deutschland allein über 2 Mio E-Bikes verkauft! Die müssen alle gewartet und/oder repariert werden. Da steht uns also ein riesiger Stau bevor. Darum brauchen wir mehr Leute, die Fahrräder reparieren können, und die müssen ausgebildet werden. Teilweise nehmen die Werkstätten ja nur noch Räder an, die auch bei ihnen gekauft wurden, weil die Wartelisten so lang sind.

Außerdem hat ein Meistertitel auch einen gewissen Werbeeffekt.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Lehrplangestaltung?

Vor allem darin, immer praxisnahe Lösungen für den Schwerpunkt Fahrrad zu finden. Dieses Arbeitsfeld ist in kurzer Zeit sehr komplex und vielfältig geworden. Zugleich müssen wir darauf achten, auch das Feld Motorrad angemessen zu behandeln.

Dann auch im Aufbau des Lehrplans. Wir haben unser Konzept kompetenzorientiert aufgebaut, das heißt, die Teilnehmenden sollen selbständig Probleme lösen können und bekommen entsprechende Aufgaben gestellt. Wichtig ist dabei die Miteinbindung des Meisterbetriebs. Im besten Fall bekommt auch der Betrieb durch die Schulungen Anregungen, die ihn wiederum weiterbringen, indem sie beispielsweise bessere Kundenfreundlichkeit oder besseren Service ermöglichen.

Wie stemmen Sie die praktischen Teile des Unterrichts?

Da gibt es zum einen unsere eigenen Werkstätten, wo wir Dinge wie computergestütztes Zeichnen, Fräsen, Drehen und vieles anderes anbieten können. Zum Teil gehen wir auch in spezialisierte Werkstätten – ein Bike Fitting Studio zum Beispiel, eine Lastenradwerkstatt oder in die Schweißtechnische Lehr- und Versuchsanstalt Nord, wo die „zerstörungsfreie Werkstoffprüfung“ anschaulich gemacht wird. Das Letztere kann sehr wichtig sein, wenn man einen Rahmenschaden feststellen will.

Wie beurteilen Sie die Perspektiven für das Zweiradhandwerk?

Die Perspektiven für die gesamte Branche sind sehr gut, und daher kommt eben auch auf das Handwerk sehr viel zu. Auch neue Herausforderungen (Leasingmodelle, Versicherungen, rechtliche Fragen), die man sich bewusstmachen und mit denen man umgehen muss. So werden zum Beispiel Fahrradgutachter bei immer hochpreisigeren Rädern auch immer nachgefragter werden.

Wenn wir die Mobilitätswende voranbringen wollen, wenn wir wirklich Fahrradstadt werden wollen, dann braucht das Handwerk als instandhaltende Instanz eine solide Basis. Und die Reparaturbetriebe sind ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Nachhaltigkeit.

Diesem Bedarf will der ELBCAMPUS nachkommen.

Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.

Die Fragen stellte Leo Strohm

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