Oesterleystraße, Richtung Ortskern Blankenese: Auch Verkehrsteilnehmer*innen, die sich in dieser schmalen Straße begegnen, müssen gegenseitige Rücksichtnahme zeigen. Der Lkw-Fahrer aber fuhr in die auf seiner Seite zugeparkte Engstelle – offenbar in dem Glauben oder sogar der Gewissheit, entgegenkommende Radfahrer*innen würden, wie sonst auch, auf ihre Vorfahrt verzichten. An diesem Tag hatte er sich allerdings getäuscht.

Oesterleystraße, Richtung Ortskern Blankenese: Auch Verkehrsteilnehmer*innen, die sich in dieser schmalen Straße begegnen, müssen gegenseitige Rücksichtnahme zeigen. © privat

Es reicht

Auf einer schmalen Straße kommt ein Lkw entgegen. Statt zu warten, überholt der Fahrer die rechts von ihm geparkten Autos und nimmt der Radfahrerin die Vorfahrt. Nach der gefühlt tausendsten Erfahrung dieser Art reichte es unserer Autorin.

Statt auf ihre Vorfahrt zu verzichten und auf den Gehweg auszuweichen, blieb sie standfest.

Wer kennt das nicht? Auf einer schmalen Straße kommt ein Lkw entgegen. Statt zu warten, überholt der Fahrer die rechts von ihm geparkten Autos und nimmt der Radfahrerin die Vorfahrt. Nach der gefühlt tausendsten Erfahrung dieser Art reichte es unserer Autorin. Statt auf ihre Vorfahrt zu verzichten und auf den Gehweg auszuweichen, blieb sie standfest.

Freitag morgen

24. März 2017, Blankenese, Oesterleystraße Richtung Ortskern. Auf der Gegenfahrbahn geparkte Autos. Von vorn kommt ein Lkw, Lieferverkehr für das nahe gelegene Süllbergshotel. Der Lkw-Fahrer nimmt mir die Vorfahrt. Ich steige ab und warte.

Montag morgen

27. März 2017, Blankenese, Oesterleystraße Richtung Ortskern. Auf der Gegenfahrbahn geparkte Autos. Von vorn kommt ein Lkw, Lieferverkehr für das nahe gelegene Süllbergshotel. Der Lkw-Fahrer nimmt mir die Vorfahrt. Ich steige ab und warte.

Dienstag morgen

28. März 2017, Blankenese, Oesterleystraße Richtung Ortskern. Auf der Gegenfahrbahn geparkte Autos. Von vorn kommt ein Lkw, Lieferverkehr für das nahe gelegene Süllbergshotel. Der Lkw-Fahrer nimmt mir die Vorfahrt. Ich steige ab und warte.

Mittwoch morgen

29. März 2017, Blankenese, Oesterleystraße Richtung Ortskern. Auf der Gegenfahrbahn geparkte Autos. Von vorn kommt ein Lkw, Lieferverkehr für das nahe gelegene Süllbergshotel. Der Lkw-Fahrer nimmt mir die Vorfahrt. Es reicht. Mir reicht's.

Widerstand

Ich fahre dem Lkw entgegen und bleibe stehen. Er bremst tatsächlich. Wir stehen uns gegenüber. Eine Minute, zwei Minuten … nach fünf Minuten zündet sich der Lkw-Fahrer eine Zigarette an. Ich signalisiere ihm, dass er zurückfahren soll, damit ich weiterfahren kann. Hinter mir stauen sich die ersten Autos. Direkt hinter mir: ein dunkelblauer Mercedes Coupe. Der Fahrer etwa siebzig Jahre alt, graumeliert, Trenchcoat, teuer.

Die ersten Autofahrer*innen fangen an zu hupen. Ich bleibe ungerührt. Der Mercedes-Fahrer steigt aus. Pöbelt mich an. Dann greift er mein Hinterrad und versucht, mein Fahrrad zusammen mit mir von der Straße nach rechts auf den Bürgersteig zu ziehen. Er solle das lassen, sage ich. Ganz ruhig, aber innerlich rast mein Herz. Er reißt den Arm hoch und geht auf mich zu. Will er mich wirklich schlagen? Ich rufe die Polizei an, PK 29, Osdorfer Landstraße. Ich beschreibe der Polizistin kurz die Situation und bitte sie, einen Wagen in die Oesterleystraße zu schicken. Da kommt keiner, antwortet sie, es ist keine Gefahrensituation. Ich sage, die Lage eskaliert. Die Polizistin antwortet: Na gut, aber das kann dauern.

In der Schlange hinter mir steht inzwischen auch der 48er-Bus, die Blankeneser „Bergziege“. Der Fahrer steigt aus und pöbelt mich an: Ich würde „den Verkehr“ behindern, er würde mich anzeigen wegen Nötigung. Kurz hinter ihm ist eine Gruppe von Fahrgästen ausgestiegen. Er sei Richter, sagt ein älterer Mann. Er und sein Begleiter hätten einen Termin beim Amtsgericht in Blankenese. Ich sage, das sei von hier keine fünf Minuten Fußweg entfernt, sie könnten einfach dorthin gehen. Sein Begleiter, ein jüngerer Mann, will sich als Mediator profilieren und bittet mich, ich solle doch Einsicht zeigen und zur Seite gehen. Ich sage, dass er mit dem Lkw-Fahrer sprechen und diesen um Einsicht bitten soll. Nun kommt die Fahrerin aus dem Golf hinter dem Mercedes und geht auf den Lkw zu. Sie versucht, mit dem Fahrer zu sprechen und ihm zu sagen, dass er zurückfahren soll. Keine Reaktion. Inzwischen hat der Mercedes-Fahrer den Motor gestartet und fährt mit seinem Wagen knapp rechts an mir vorbei über den Gehweg am Lkw vorbei.

Nach etwa zwanzig Minuten fährt der Lkw-Fahrer fünf Meter zurück. Meine Nerven sind inzwischen nicht mehr belastbar. Ich hebe mein Rad auf den Bürgersteig, schiebe es über den Gehweg und fahre weiter. Die Autofahrer*innen hinter mir lassen den Lkw vorbei.

Der Staatsanwalt warnt vor den Folgen, „wenn Sie in Zukunft erneut strafrechtlich auffallen“.

 

Justiz

Ich erstatte online Anzeige gegen den Mercedes-Fahrer. Glücklicherweise hat die Golffahrerin die Situation mit dem Smartphone gefilmt, mich noch angesprochen und darüber informiert. Ich gebe sie als Zeugin an. Sie lässt der Staatsanwaltschaft Hamburg ihren Film zukommen.

Einige Wochen später erhalte ich ein Schreiben der Hamburger Staatsanwaltschaft: Jemand hätte mich wegen Nötigung im Straßenverkehr angezeigt. Ich vermute, es war der Busfahrer. Ein knappes Jahr später, am 12. März 2018, schreibt mir Staatsanwalt Vogt: Das Ermittlungsverfahren gegen mich würde gemäß § 153 Abs. 1 der Strafprozessordnung [Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit] eingestellt, weil die Schuld als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Schuld? Kein öffentliches Interesse? Ich ahne nichts Gutes. Doch das Inte­ressanteste an dem Schreiben des Staatsanwalts ist der fett gedruckte Zusatz: „Mit einer weiteren Einstellung in dieser Form können Sie jedoch nicht mehr rechnen, wenn Sie in Zukunft erneut strafrechtlich auffallen. In diesem Fall müssen Sie mit einer Anklage rechnen.“

Hm. Ich bin also strafrechtlich aufgefallen. Und wehe, das passiert nochmal! Dann ergeht nicht mehr Gnade vor Recht (sic!). Ich überlege und denke an die täglichen Konflikte zwischen Radfahrer*innen und Autofahrer*innen. Nächstes Mal muss ich mich also vorsehen, wenn mich ein Autofahrer bedroht. Hm. Es gibt jetzt also eine digitale Akte zu mir. Und auf dem Schreiben steht nicht, dass ich gegen diesen Bescheid – oder ist es nur eine Verwarnung? – Widerspruch einlegen kann. Ach ja: Was wurde eigentlich aus meiner Anzeige gegen den Mercedes-Fahrer, der handgreiflich wurde? Und woher kannte die Person, die mich wegen Nötigung angezeigt hat, meine persönlichen Daten? Am Ort des Geschehens hatte ich diese jedenfalls niemandem mitgeteilt.

Durch meine berufliche Tätigkeit als Historikerin kenne ich aus der Geschichte viele Techniken der Einschüchterung, der unterschwelligen Drohungen, gegenüber Menschen. Auch durch den deutschen Staat oder dessen Justizbehörden. Heute leben wir in einer Demokratie mit Gewaltenteilung. Aber wer kontrolliert eigentlich die Staatsanwaltschaft?

Nachfrage bei einer Anwaltskanzlei

Diese hat sich unter anderem auf die Vertretung von Radfahrer*innen spezialisiert. Sie würde sich wünschen, so die Rechtsanwältin, sie könnte mir sagen, dass meine Erfahrungen mit der Justiz die Ausnahme seien. Erst neulich aber hätte ein Richter einem Radfahrer, der wegen eines mitten auf dem Radweg installierten Verkehrsschildes einen Unfall hatte, beschieden, er hätte eben besser aufpassen sollen. Und es gäbe immer wieder Urteile, bei denen geschädigten Radfahrenden eine Mitschuld zugesprochen werde, weil sie, wie in meinem Fall, ihre Vorfahrt „erzwingen“ wollten.

Für mich ist eine solche Rechtsprechung Ausdruck einer Täter-Opfer-Umkehr (Victim Blaming) durch eine Justiz, die eben nicht alle Verkehrsteilnehmer*innen gleich behandelt. Bei Google hat die Staatsanwaltschaft Hamburg übrigens 1,6 Sternchen von möglichen fünf Sternchen bekommen. Neben viel Kritik an ihrer Arbeit gibt es aber auch Lob von Google-Rezensent*innen: „Der Pförtner war sehr kompetent und hilfsbereit.“

Claire S.

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