Perspektivwechsel – Radtour mit Lkw-Fahrern
Unter dem Motto »Perspektivwechsel« tauschten rund zwanzig Lkw-Fahrer des Zementherstellers CEMEX Ende Juni 2018 für einen Vormittag das Führerhäuschen gegen ein Fahrrad.
Über amtliche 17 km ging es bei strahlendem Sonnenschein vom Werk in Billbrook bis nach Eimsbüttel – in zwei Gruppen, die von Florian Mallok und Amrey Depenau vom ADFC Hamburg begleitet wurden. Los geht es an einem Samstagmorgen in Billbrook mitten im Industriegebiet. Noch ist es hier ziemlich still und einsam, vereinzelte Autos fahren durch die Straßen, überwiegend tatsächlich Lastkraftwagen (Lkw). Ein guter Punkt, um eine gemeinsame Radtour mit Lkw-Fahrern zu starten.
Runter vom Bock – Rauf auf den Sattel!
Gefahren wird in zwei Gruppen von je etwa neun Leuten – unter realistischen Bedingungen, also nicht im Verbund über während des Querungsvorgangs rot werdende Ampeln. Nicht einfach für die vorne Fahrenden, die manches Mal ihre Hinterleute an der Ampel verlieren. Die Strecke führt Richtung Hamburg Zentrum über Radfahrstreifen, schmale Hochbordradwege, durch eine Fahrradstraße – wechselhaftes Fahrgefühl also. Immer wieder heißt es anhalten an Ampeln. Grüne Welle? Eher nicht.
Ritterstraße
An der Ecke Ritterstraße/Wandsbeker Chaussee wird ein erster Halt eingelegt. Hier kam 2016 eine 19-jährige Radfahrerin bei einem Unfall mit einem abbiegenden Lkw ums Leben. Ein Ghostbike steht da. Der damalige Unfallhergang wird geschildert und es kommt gleich zu einer Diskussion: Was hätte anders laufen müssen, wie hätte sich jeder der Anwesenden verhalten? Der Perspektivwechsel findet statt – als Radfahrer*in in der Situation wären wohl die meisten so gefahren wie die 19-Jährige, der ein oder andere hätte vielleicht aus Erfahrung vorsichtshalber angehalten. Auch der Abbiegevorgang aus Lkw-Perspektive kommt zur Sprache: beim Abbiegen in Bewegung in einem Zug sieht der Fahrer was kommt, muss er während des Abbiegevorgangs anhalten, wie in diesem Fall, um die Fußgänger passieren zu lassen, dann ist die Sicht in einem bestimmten Winkel nach hinten nicht mehr gegeben. Die Frage bleibt im Raum, ob und wie man verkehrsplanerisch verhindern kann, dass es zu solchen Situationen kommt.
Armgartstraße und Sievekingplatz
Weiter geht’s im Stadtverkehr. Die Radfahrstreifen, auf denen die Route vermehrt verläuft, werden gelobt – es fährt sich gut darauf und man ist immer zu sehen für den Kraftfahrzeugverkehr. Nicht lange dauert es bis zum zweiten Halt an der Ecke Mundsburger Damm/Armgartstraße, wo 2014 eine 18-jährige Schülerin durch einen abbiegenden Lkw getötet wurde. Auch hier wird über den Unfallhergang diskutiert und es scheint wenig Verständnis vorhanden zu sein, dass es dazu kommen konnte, denn nach Meinung der Fahrer kann und sollte man hier eigentlich gar nicht so schnell herumfahren zum Abbiegen.
Ähnlich klingt es am nächsten Punkt, am freien Rechtsabbieger Ecke Sievekingplatz/Holstenwall, wo es 2017 einen nicht tödlichen Unfall gegeben hat. Man ist der Meinung, dass man an solch einer Stelle ohne Ampel vor dem Abbiegen doch in Ruhe anhalten und gucken könne, und sich diese Zeit auf jeden Fall nehmen sollte.
Inzwischen freuen sich alle schon ein bisschen auf das langsam absehbare Ende der Tour, die Anstrengung ist zum Teil doch ungewohnt und das Radfahren im Stadtverkehr entpuppt sich als nicht jedermanns Sache. Eine entspannte Spazierfahrt ist es eben nicht, wenn man den Verkehr die ganze Zeit im Auge behalten und sich an der Radwegeführung orientieren muss, die zeitweise einem »Ampelhopping« gleichkommt.
Dennoch ist das Fahren in der Gruppe doch auch anders als im Alltag alleine: Die eigene Sichtbarkeit ist natürlich viel höher, eventuell wird man auch mal großzügiger umfahren oder etwas später überholt, dafür muss man sich aber auch im Tempo aneinander anpassen und eben hier und da aufeinander warten.
Osterstraße
Der letzte Halt zum Ende der Tour ist an der jüngsten Unglücksstelle an der Ecke Eppendorfer Weg/Osterstraße, wo eine 33-jährige Fahrradfahrerin erst im Mai zu Tode kam. Dass der genaue Unfallhergang hier noch nicht endgültig geklärt ist, wird aufgegriffen, doch als Resümee bleibt, dass vorherige Vorsicht auf beiden Seiten entscheidend sein kann, solche Fälle zu vermeiden.
Die anderen im Blick haben– auch wenn man sie nicht sieht
Bei der anschließenden Einkehr zum gemütlichen Ausklang in der Sonne bei Speis und Trank wird sich vielfältig weiter ausgetauscht. Die Themen bleiben aber nicht bei Radfahrer*innen-Lkw-Konflikten. Wie bereichernd so ein Perspektivwechsel sich auf das Verständnis für andere Verkehrsteilnehmer*innen auswirkt, wird betont, ebenso dass fast keiner nur Autofahrer*in oder Radfahrer*in oder eben Lkw-Fahrer*in ist.
Fazit
Fest steht, dass niemand so einen Unfall haben möchte, unabhängig davon, wer Recht oder Schuld hatte und die beste Prävention in jedem Falle gegenseitige Rücksichtnahme und Vorsicht auf allen Seiten ist. Dazu gehört, dass technische Hilfsmittel für abbiegende Lkw entwickelt und verbessert werden sollen, aber auch die regelmäßig stattfindende Schulung der Fahrer.
Touren wie die heutige zeigen, wie es sich auf der Straße mit dem Fahrrad tatsächlich anfühlt. Mit der anderen Seite ins Gespräch zu kommen, ist auf jeden Fall gewinnbringend – auch für die Alltagsradler*innen, die heute dabei waren, denn wenn jede*r immer auch an die anderen denkt, kann der Alltag auf dem Lkw ebenso wie auf dem Rad vielleicht schon ein bisschen entspannter aussehen.
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