pöbelnder Autofahrer im Auto

road-rage © privat

Auf offener Straße

Samina Mir ist schon lange aktiv im Fahrradclub und seit 2020 Vorsitzende des Landesverbandes Hamburg. Sie erlebt im Straßenverkehr immer wieder kritische, gefährliche Situationen. Ein besonders bedrohliches Erlebnis hat sie der RadCity erzählt.

RadCity: Was genau ist damals passiert?

Samina Mir Im Herbst 2019 waren wir nach einer Podiumsveranstaltung zu dritt auf dem Weg nach Hause. Es war schon spät, und auf der vierspurigen Ehrenbergstraße in Altona war kaum Verkehr. Da der Radweg dort von Schlaglöchern und Rillen übersät ist, haben wir die Fahrbahn benutzt. Mit einem Mal haben uns drei, vier Pkw überholt, und zwar so schnell, dass ich annehme, dass die Fahrer*innen sich ein Rennen liefern wollten. Kurz danach habe ich registriert, dass ein weiteres Fahrzeug dicht neben meinem Hinterrad herfährt und keine Anstalten macht, mich zu überholen.

Irgendwann hat mich der Typ dann ruckartig geschnitten. Ich konnte gerade noch auf den Parkstreifen ausweichen. Anschließend ist er davongerast. Jens ist ihm gefolgt und hat sich an der nächsten Ampel mit dem Rad vor ihn gestellt. Ich bin dann neben das Auto gefahren und habe den Fahrer gefragt, was das soll. Er hat mich nur angegrinst. Da habe ich mein Handy rausgeholt und wollte die Polizei anrufen. Aber ich habe so gezittert, dass ich Ewigkeiten gebraucht habe, bis ich überhaupt wählen konnte. Gleichzeitig hat der Fahrer seinen Wagen immer weiter zurückgesetzt. Irgendwann ist mir klar geworden, dass wir ja mitten auf der Straße stehen, und wir sind zum Straßenrand gegangen. Im selben Augenblick ist der Fahrer losgerast, aber nicht etwa auf der zweiten Fahrspur, wo genügend Platz gewesen wäre, sondern durch die Lücke zwischen uns und dem Bürgersteig. Dadurch hat er uns wirklich nur um Haaresbreite verfehlt.

Was hast du anschließend gemacht?

Wir sind dann zum nächsten Polizeirevier gegangen. Aber ich stand nach dem Erlebnis dermaßen unter Schock, dass ich nicht mehr zurechnungsfähig war. Der Polizist hat meine Aussage aufgenommen und mich mehrmals gefragt, ob ich mich setzen oder einen Arzt sprechen will. Ich habe aber jedes Mal abgelehnt. Das war rückblickend ein Fehler. Ich habe dann meine Aussage gemacht. Der Polizist hat das Ganze als fahrlässige Körperverletzung eingestuft und das in der Anzeige so vermerkt. Ich bin zwar rückblickend der Meinung, ich hätte einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung angezeigt, aber wirklich erinnern kann ich mich daran nicht mehr.

Besser wäre gewesen, mir erst einmal Hilfe zu suchen und den Zwischenfall mit einer Audio­aufnahme zu protokollieren. Und erst am nächsten Tag zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten.

Anschließend bin ich mit der Bahn nach Hause gefahren. Dort habe ich die ganze Nacht geheult und kaum geschlafen.  Wochen später hatte ich immer noch Herzrasen, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs war und hinter mir ein Motorengeräusch gehört habe.

Nach einem solchen Erlebnis sollte man am nächsten Tag auf jeden Fall zur Ärztin gehen. Der Befund ist dann vor Gericht verwertbar.

Was ist aus deiner Anzeige geworden?

Monate später habe ich Post von der Staatsanwaltschaft bekommen und habe ihr das Video des Vorfalls aus meiner Fahrradkamera zur Verfügung gestellt. Ewigkeiten später kam es dann zum Gerichtstermin „wegen fahrlässiger Körperverletzung“. Ich war nur als Zeugin zu dem Prozess zugelassen, da ich nicht als Nebenklägerin aufgetreten bin. Auch das war rückblickend ein Fehler, weil ich nur während meiner Aussage im Saal sein durfte und die Verhandlung nicht verfolgen konnte.

Holt euch unbedingt einen Rechtsbeistand dazu. Die Mitgliedschaft imADFC beinhaltet auch eine Rechtsschutzversicherung. Daran habe ich damals überhaupt nicht gedacht. Eine rechtliche Vertretung ist allein schon deshalb gut und wichtig, weil sie euch in Schutz nehmen kann, wenn es nötig ist.

Bei der Verhandlung stellte sich dann heraus, dass die Staatsanwältin sich noch nicht einmal das Video angeschaut hatte! Die hatte ihre Anklageschrift lediglich auf Basis der Anzeige erstellt und war, für meine Begriffe, überhaupt nicht vorbereitet. Die Verteidigerin des Angeklagten hat mich dann durch ihre Fragen und Unterstellungen regelrecht fertig gemacht. Sie hat  versucht, mich als Autohasserin und „Kampfradlerin“ darzustellen und hat mich unglaublich verunsichert und demoralisiert. Letztendlich musste ich im Gerichtssaal heulen und habe mich nur noch schuldig gefühlt. Die Staatsanwältin hat während der ganzen Verhandlung weder an mich noch an den Angeklagten eine Frage gestellt. Später haben sich die beiden dann  außergerichtlich auf eine Geldstrafe verständigt. Ich war hinterher völlig fertig und schockiert.

Wie geht es dir heute damit?

Das Ganze nimmt mich heute noch mit, obwohl ich weder körperliche Schäden erlitten habe noch mein Fahrrad beschädigt wurde. Aber dass jemand sein Auto als Waffe gegen mich eingesetzt hat, das finde ich immer noch unfassbar. Ich wurde bedrängt, und dann hat der Fahrer uns auch beim Wegfahren noch einmal rücksichtslos gefährdet. Die Strafzahlung in Höhe von 500 Euro – 250 Euro für mich, 250 für den ADFC – hat höchstens Symbolwert. Ein Fahrverbot wäre echt besser gewesen.

Interview: Leo Strohm

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