Verpasste Chance
Finkenwerder. Hier ein paar Fahrradbügel, dort eine Taktverdichtung – all dies bewirkt noch keine Mobilitätswende. Dafür braucht es mutige Konzepte und den großen Wurf.
Hier ein paar Fahrradbügel, dort eine Taktverdichtung – all dies bewirkt noch keine Mobilitätswende. Dafür braucht es auch ausgedehnte Laborversuche, mutige Konzepte und den großen Wurf – am besten gleich für einen ganzen Stadtteil. Ein solcher Anspruch schien leitend zu sein, als 2018 im Zusammenhang mit der Planung eines neuen Airbus-Besucherzentrums Politiker*innen, Stadtteilaktive und schließlich auch der Regionalausschuss die Erstellung eines „Mobilitätskonzeptes“ für das vom Autoverkehr geplagte Finkenwerder einforderten.
Vor zehn Jahren wurde um Finkenwerder herum für sagenhafte fast hundert Millionen Euro eine 5,5 km lange Umgehungsstraße gebaut. Heute quält sich zu den Stoßzeiten schon wieder eine Blechlawine über die schmale Durchgangsstraße – mehr Straßen ziehen eben auch mehr Verkehr an.
Holperige Radwege
Finkenwerder ist sowohl ländlich (Obstplantagen) als auch industriell geprägt und hat gut 11.500 Einwohner*innen. Bis zur Abdeichung der Alten Süderelbe 1962 war der Stadtteil eine Insel. Deshalb gibt es nur zwei Ortszufahrten, südlich beim Aluminium- und westlich beim Airbus-Werk. Die Durchfahrtstraße ist schmal und verläuft teilweise auf alten Deichen. Für Radfahrende ist sie ein Graus: Die Radwege sind Jahrzehnte alt, an vielen Stellen unterbrochen und viel zu schmal. Die Benutzungspflicht ist aufgehoben, die Wege werden nicht mehr gepflegt. Trotzdem werden sie von fast allen Radfahrenden genutzt – die Hauptstraße, auf der fast überall Tempo 50 gilt, erscheint den meisten als zu gefährlich oder ist verstaut.
Viele Verbesserungsvorschläge
Zunehmend werden weitere Betriebe auf Finkenwerder angesiedelt und für diese natürlich auch gleich ordentliche Kfz-Parkhäuser errichtet. Da es so nicht weitergehen kann, wurde die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Stadt (die die Gewerbegebiete entwickelt) mit der Erstellung eines „Mobilitätskonzeptes“ für den Stadtteil beauftragt. Zahlreiche örtliche Initiativen und Einzelpersonen, auch wir von der Bezirksgruppe Mitte, haben beim Beteiligungsverfahren im letzten Jahr Hunderte von Vorschlägen eingebracht. Sie reichen von generellem Tempo 30 über Durchfahrtbeschränkungen, Bewohner*innenparkzonen, die Reparatur der vorhandenen Radwege bis hin zur Verbesserung des Fährangebots. Es gab aber auch die Forderung nach Shuttle-Bussen, Mobility-Hubs und besseren Abstellmöglichkeiten für Fahrräder in den Wohngebieten: die vielen großen und kleinen Verbesserungen eben, die am Ende – zusammengedacht – vielleicht doch die Mobilitätswende einleiten können.
Ernüchterndes Ergebnis
Am 24. Januar wurden die Vorschläge der Planer*innen im Regionalausschuss vorgestellt. Das Ergebnis ist – gelinde gesagt – ernüchternd. Auch wenn der vollständige Maßnahmenkatalog zum Redaktionsschluss noch nicht einsehbar war, spiegelt er doch kaum mehr als das bekannte Klein-Klein. Auffällig wenig soll in den motorisierten Individualverkehr eingegriffen werden. Als bedeutendste verkehrslenkende Maßnahme erscheint da noch der Vorschlag von Tempo 30 auf der Ortsdurchfahrt – bei gleichzeitigem Hinweis auf die aufgrund der Rechtslage schwierige Durchsetzbarkeit. In Finkenwerder hat sich bereits eine neue Tempo-30-Initiative gegründet. Die Unzufriedenheit unter den Aktiven ist seit Jahren groß.
Auch die ADFC-Bezirksgruppe Mitte wird weiter am Ball bleiben und ein wirkliches Konzept fordern – denn ohne Zurückdrängung des Autos wird das nix, nicht mit der Mobilitätswende und nicht mit dem Klimaschutz.
Marcel Simon-Gadhof
Dieser Artikel stammt aus der aktuellen RadCity 1/2023