Radwegbenutzungspflicht
Radfahrende müssen längst nicht jeden vorhandenen Radweg entlang einer Straße benutzen - oft dürfen sie ebenso auf der Fahrbahn fahren.
Früher musste jeder Radweg benutzt werden, sofern er nur als solcher erkennbar war. Nur dann, wenn er »unbenutzbar« war, weil er z. B. unter einer Schneedecke verborgen lag, durfte die Radfahrer*in auf die Fahrbahn ausweichen. Im Laufe der Jahre wurde aber deutlich, dass Radwege erheblich weniger sicher sind, als man annahm. Außerdem sind zahlreiche Radwege in einem so schlechten Zustand, dass durch sie manche Gefahren erst entstehen. Mit den Stimmen von SPD, CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen wurde deshalb vom Bundesrat 1997 die Straßenverkehrsordnung (StVO) geändert. Seitdem muss längst nicht mehr jeder Radweg befahren werden.
Wo fahren Kinder und Erwachsene?
- Kinder unter 8 Jahren müssen auf dem Gehweg oder einem baulich von der Fahrbahn getrennten Radweg fahren. Fahrbahn, Radfahr- und Schutzstreifen dürfen sie nicht benutzen.
- Kinder im Alter von 8 und 9 Jahren dürfen den Gehweg oder den Radweg/Radfahrstreifen/Schutzstreifen benutzen. Dort, wo es Erwachsene dürfen, dürfen sie auch auf der Fahrbahn fahren.
- Beim Fahren auf dem Gehweg darf eine mindestens 16 Jahre alte Aufsichtsperson das Kind begleiten. Auf Fußgänger müssen beide besonders Rücksicht nehmen. (Erläuterung von ADFC-Rechtsreferent Roland Huhn 9/18: Auf Gehwegen gibt es keine Fahrtrichtung. Die dort zugelassenen Kinder dürfen in beiden Richtungen fahren, die Begleitung ebenfalls. Den Problemen, die dadurch an Einmündungen entstehen können, will der Gesetzgeber dadurch begegnen, dass beide absteigen müssen, um die einmündende Straße zu überqueren.)
- Für Kinder ab dem 10. Geburtstag gelten die selben Regeln wie für Erwachsene.
(Stand: September 2018)
Allerdings dürfen die Straßenverkehrsbehörden die Schilder nur aufstellen, wenn die Benutzungspflicht in der Straße notwendig ist und der Radweg verschiedene Qualitätskriterien hinsichtlich Oberfläche, Breite und dergleichen erfüllt. Aber auch wenn ein Schild aufgestellt ist, gibt es Ausnahmen von der Benutzungspflicht: unbenutzbarer Radweg wegen Falschparkern, Grünwuchs, Baustelle usw. Autofahrer*innen müssen daher immer davon ausgehen, dass eine Radfahrer*in auf der Fahrbahn fährt.
Alle Radwege, an denen keines der oben genannten Verkehrsschilder steht, müssen nicht benutzt werden. Hier darf die Radfahrer*in, die das möchte, auf der Fahrbahn fahren.
Vorgeschichte: Bundesrat ändert die StVO
Im Sommer 1997 beschlossen Bundestag und Bundesrat Änderungen der Straßenverkehrs-Ordnung zugunsten von Radfahrer*innen (sog. Fahrrad-Novelle), die vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) auf Bundesebene maßgeblich mit gefördert und beeinflusst wurden. Ein Jahr später, am 1.10.1998, trat die Neuregelung der Radwegebenutzungspflicht in Kraft. Während zuvor jeder vorhandene Radweg von den Radler*innen benutzt werden musste, das Fahren auf der Fahrbahn also generell verboten war, wird seit dem 1.10.1998 zwischen benutzungspflichtigen Radwegen und anderen Radwegen unterschieden.
Damit ein Radweg als benutzungspflichtig ausgewiesen werden kann, muss dieser nach der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) gewisse Mindestkriterien erfüllen. Diese Kriterien spiegeln die Erkenntnis wider, dass nicht jeder Radweg sicher zu befahren ist. Die Kriterien sind u.a. mindestens 1,50 m Breite, eindeutige, sichere und stetige Führung, einwandfreie Oberflächenbeschaffenheit, Sicherheitsabstand zu parkenden Autos und anderen Hindernissen.
Radwegeuntersuchung, Widersprüche, Klagen und Musterprozesse
Der ADFC Hamburg versuchte während der Umsetzungsphase der Fahrrad-Novelle in intensivem Kontakt mit der Innenbehörde, Einfluss auf die Anordnung der Benutzungspflicht in Hamburg zu nehmen. Unser Ziel war schon damals die Einhaltung der von der VwV-StVO geforderten Kriterien.
Anfang 1998 führte der ADFC eine Untersuchung aller Radwege im Innenstadtbereich sowie in den Stadtvierteln rund um die Außenalster durch. Die Untersuchung ergab, dass mehr als 80 % der Radwege in Hamburg nicht die erforderlichen Kriterien der VwV-StVO erfüllten. Insbesondere mangelte es vielen Radwegen an der geforderten Mindestbreite, aber auch an einer sicheren Linienführung und am erforderlichen baulichen Zustand.
Trotz der Hinweise des ADFC ordnete die Innenbehörde in Hamburg fast flächendeckend die Radwegebenutzungspflicht an. Weder wurde auf den Zustand der Radwege noch auf die Einhaltung der Kriterien der VwV-StVO geachtet. Im Regelfall wurde auch nicht überprüft, ob eine Anordnung der Benutzungspflicht überhaupt erforderlich war. Der ADFC unterstützte deshalb im Oktober 1998 insgesamt sieben Widersprüche gegen die Radwegebenutzungspflicht an ausgewählten Straßen in Hamburg. Weil diese Widersprüche trotz mehrfacher Nachfrage bei der Rechtsabteilung der Polizei innerhalb von zwei Jahren nicht beschieden wurden, sah sich der ADFC im Herbst 2000 gezwungen, eine Entscheidung im Wege der Untätigkeitsklage herbeizuführen. Dazu wurden drei Straßen (Gertigstraße, Eppendorfer Landstraße, Heußweg) für Musterverfahren ausgewählt.
In einem der drei Musterverfahren (Gertigstraße) erklärten die vom ADFC unterstützte Radlerin und die Behörde die Klage für erledigt, nachdem die Behörde der Forderung der Klägerin nachgab und die Benutzungspflicht in der Gertigstraße vollständig aufhob. Die beiden anderen Musterverfahren im Heußweg und in der Eppendorfer Landstraße wurden fortgeführt, weil die Behörde hier nicht zu einer freiwilligen Korrektur der rechtswidrigen Anordnung der Radwegebenutzungspflicht bereit war. Nach mehrjährigem Rechtsstreit wurden auch im Heußweg (2007) und in der Eppendorfer Landstraße (2008) die Benutzungspflichten aufgehoben – genau wie vom ADFC 1998 gefordert. Die Musterverfahren hatten bundesweit Signalwirkung.