Altona ist nicht Harburg

Warum die Hamburger Bezirksversammlungswahlen am 9. Juni für den Radverkehr so wichtig sind. Und warum es nicht reicht, einen Verkehrssenator zu haben, der Fahrrad fährt.

Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat in seiner Strategie zur Mobilitätswende ambitionierte Ziele formuliert: Bis zum Jahr 2030 sollen 80% aller Wege in der Stadt mit dem Umweltverbund zurückgelegt werden. Das bedeutet, dass die Hälfte der Menschen, die derzeit noch mit dem Auto unterwegs sind, bis dahin aufs Rad oder in den Öffentlichen Nahverkehr umgestiegen sein sollen. Mit dem Bündnis für den Radverkehr hat Hamburg eine behördenübergreifende Allianz präsentiert, mit der das Ziel „Fahrradstadt“ erreicht werden soll. Dort ist das Ausbauziel von hundert Kilometern Fahrradinfrastruktur jährlich festgeschrieben. Einen fahrradfreundlichen Verkehrssenator gibt es auch – Anjes Tjarks ist sogar zur Einweihung des A7-Tunnels mit dem Rad gefahren. Das war ein klares Statement für den Radverkehr.

Trotzdem, wenn man mit dem Fahrrad einmal quer durch Hamburg fährt, merkt man eines schnell: Mancherorts fahren viel mehr Menschen Rad als in anderen Ecken der Stadt. Woran liegt das? An den Radwegen – ist doch klar! Dort, wo Radverkehr mitgedacht und die Infrastruktur für Radfahrende ausgebaut wurde, wird auch mehr geradelt. Aber warum wurde die Radinfrastruktur in den verschiedenen Hamburger Bezirken in den letzten Jahren so offensichtlich unterschiedlich gefördert?

Zuständigkeiten

Der Senat baut nicht selbst, sondern überträgt diese Aufgabe an die Bezirke. Damit sind die Bezirksämter für die lokale Umsetzung der Radverkehrsförderung zuständig. Die meisten Baumaßnahmen, die den Radverkehr betreffen, werden dort geplant. Nur die Hauptverkehrsstraßen und die Bundesstraßen werden direkt in der Verkehrsbehörde geplant und realisiert. Und selbst da haben die Bezirke ein Wörtchen mitzureden, indem sie Empfehlungen geben, wie der Straßenraum zu verteilen ist.

Es sind also die sieben Hamburger Bezirksämter, die den Bau der geplanten hundert Radwegkilometer pro Jahr realisieren müssen. Und die Leitung dieser Bezirksämter wird durch die Bezirksversammlungen gewählt.

Ohne Bezirke keine Mobilitätswende

Im Prinzip sind die Bezirksversammlungen vergleichbar mit einem Kommunalparlament. Sie kontrollieren die Arbeit der Bezirksämter und fassen Beschlüsse zu allen regionalen Angelegenheiten. Sie entscheiden, welcher Spielplatz eine neue Rutsche bekommt, wo der Park im Neubaugebiet angelegt oder ob vor der Schule eine Fahrradstraße eingerichtet wird. Die Bezirksversammlung weist dann das Bezirksamt an, die Beschlüsse in Pläne zu fassen und umzusetzen. De facto sind es also die Bezirksversammlungen und die dazugehörigen Bezirksämter, die entscheiden, wie es vor deiner Tür aussieht, ob du genügend Fahrradbügel in der Einkaufsstraße findest – oder ob die Einkaufsstraße vielleicht sogar zur Fußgängerzone wird.

Bürgerbeteiligung

Die Mitglieder der Bezirksversammlungen greifen bei der Gestaltung des öffentlichen Raums nicht selten auf Ideen der Bürger*innen zurück. Zum Beispiel ist das Projekt „Ottensen macht Platz“ (jetzt „freiRaum Ottensen“) aus einem Verkehrskonzept der Initiative „Ottensener Gestalten“ entstanden. Sie hatte dem Verkehrsausschuss des Altonaer Bezirkes ihre Ideen für einen verkehrsberuhigten Ortskern und eine erweiterte Fußgängerzone vorgestellt. Die Idee fiel bei den Fraktionen der Bezirksversammlung Altona auf fruchtbaren Boden und mündete nach einigem Hin und Her in einem Verkehrsversuch, einer umfangreichen Bürgerbeteiligung und konkreten Umbauplänen.

Eine Bezirksversammlung kann also die Verkehrswende gestalten. Und genau diese Bezirksversammlung kannst du am 9. Juni wählen! Und das solltest du auch! Denn wer gestalten kann, kann auch blockieren.

So hat die Bezirksversammlung in Hamburg-Mitte zum Beispiel den Bau der Radroute 8 in Billstedt verhindert. Jahrelang wurde dort über die ideale Streckenführung diskutiert, wurden Bürger*innen und NGOs wie der ADFC beteiligt, wurde für viel Steuergeld der Umbau geplant. Kurz vor der Umsetzung wurde dann alles gekippt. Beim Umbau wären Auto-Stellplätze entfallen, und genau dagegen wurde in der Bezirksversammlung gestimmt.

Eine solche Last-Minute-Blockade hätte auch fast die Radroute 1 in der Reventlowstraße in Othmarschen getroffen. Weil die umliegenden Gewerbetreibenden Umsatzeinbußen durch die Baumaßnahme fürchteten, wäre der fahrradfreundliche Umbau beinahe um sieben Jahre verschoben worden. Hier ist es der Standhaftigkeit der Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg zu verdanken, dass die Verkehrssicherheit letztendlich über Partikularinteressen gesiegt hat.

Wir brauchen also auch Politiker*innen in den Bezirken, die gültige Beschlüsse und Vereinbarungen gegen aufkommenden Gegenwind verteidigen.

Wem die Sicherheit von Radfahrenden und zu Fuß Gehenden wichtig ist, geht am 9. Juni wählen.

 

Europawahl und Bezirkswahl an einem Termin!

Der Wahltermin ist auf mehreren Ebenen wichtig: Das Europaparlament legt auf europäischer Ebene Richtlinien fest – also auch solche, die Nachhaltigkeit und den Verkehr betreffen. Auf Bezirksebene muss dann konkret umgesetzt werden.

Wenn dir also die Sicherheit von Radfahrenden und zu Fuß Gehenden wichtig ist, musst du am 9. Juni wählen gehen. Nur so kannst du dazu beitragen, dass die notwendigen Mehrheiten für eine zukunftsorientierte und nachhaltige Verkehrspolitik auf europäischer wie auf bezirklicher Ebene zustande kommen.

Denn nur, wenn in Straßburg und in den Bezirksversammlungen Menschen sitzen, die sich mit Herzblut für eine Mobilitätswende, für Flächengerechtigkeit und Klimaschutz einsetzen, können die Ziele, die die Politik sich gesetzt hat, auch auf die Straße gebracht werden. Und nur, wenn die Bezirksamtsleiter*innen ein starkes Rückgrat haben und fahrradfreundliche Umbaumaßnahmen auch gegen Widerstände verteidigen, wird Hamburg zu einer Stadt für Menschen – nicht für Autos.

Für den Vorstand des ADFC Hamburg:
Samina Mir, Cajus Pruin

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